Spezialthema | Kardiovaskuläre Gesundheit in Berlin-Brandenburg

Ob Herzinfarkt, Schlaganfall oder andere Herzleiden: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Deutschland. Auch wenn dank neuer Untersuchungs- und Therapieverfahren die Sterblichkeit in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist, gibt es in Forschung, Diagnose, Behandlung und Prävention noch einiges zu tun. In der Metropolregion Berlin-Brandenburg stellen sich vielfältige Akteure dieser Herausforderung.

 

Erkrankungen des Herzens und der Blutgefäße – auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen genannt – sind in Deutschland laut Robert Koch-Institut (RKI) für über 40 Prozent aller Todesfälle verantwortlich. Zu den häufigsten Herz-Kreislauf-Erkrankungen – fachlich als kardiovaskuläre Erkrankungen bezeichnet –zählen demnach die koronare Herzkrankheit, der Herzinfarkt und der Schlaganfall.

Viele der kardiovaskulären Erkrankungen sind chronisch und haben unbehandelt schwere Folgen, betont auch das Bundesforschungsministerium. Es gibt aber Möglichkeiten die Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Fettleibigkeit und Diabetes zu beeinflussen sowie schwere Vorfälle rechtzeitig zu erkennen: Dazu zählen neben gesundheitsbewusstem Verhalten auch medikamentöse Therapien und die ganzheitliche Behandlung der Patienten mithilfe von patientenzentrierter bzw. -berichteter Ergebnismessung.

Im Bereich Prävention entsteht beispielsweise in den kommenden zehn Jahren ein neues Zentrum an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, das Herz-Kreislauf-Krankheiten weiter erforschen soll. Ziel ist es, die Früherkennung individueller Risiken und die Möglichkeit, präventiv darauf zu reagieren, weiter auszubauen. Der Aufbau des „Friede Springer – Cardiovascular Prevention Center at Charité“ wird mit 70 Millionen Euro von der Friede Springer gGmbH und sieben Millionen Euro vom Land Berlin unterstützt.

Auf die Bedeutung von Prävention sowie die notwendige Verbesserung der Behandlung hat auch der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) anlässlich des Weltherztages am 29. September hingewiesen. In diesem Rahmen wurde auch der Plan des Bundesgesundheitsministeriums unterstützt, Eckpunkte für eine Gesetzesinitiative zur besseren Vorsorge und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzulegen.

Mit Daten zu besserer Versorgung

Bei der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen setzen in Berlin-Brandenburg mittlerweile eine Reihe von Gesundheitsinitiativen und Projekte auf die Erfassung von Daten zur körperlichen, psychischen und sozialen Gesundheit. Die Charité - Universitätsmedizin Berlin setzt seit vergangenem Jahr flächendeckend auf patientenzentrierte Ergebnismessungen des Berliner Unternehmens Heartbeat Medical. Dabei geben die Patientinnen und Patienten in allen Hochschulambulanzen sowie bei der stationären Aufnahme vor Ort Daten zu ihrer körperlichen, psychischen und sozialen Gesundheit am Tablet oder dem eigenen Endgerät ein. Die Ergebnisse der standardisierten Fragebögen stehen dann dem behandelnden Team in Echtzeit zur Verfügung und können in einem weiteren Schritt verglichen und analysiert werden.

Mit solchen patientenberichteten Ergebnissen (Patient-Reported Outcome Measures – PROMs) setzt sich auch die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie mit Sitz in Berlin in ihrem Arbeitskreis PRO intensiv auseinander. Zu den Mitgliedern im Arbeitskreis gehören neben Vertretern der Charité und des Medizinischen Versorgungszentrums am Oskar-Helene-Heim auch Repräsentanten von Unternehmen mit Sitz in Berlin, darunter Takeda, Sanofi, Pfizer, Fosanis und PLATO Health.

Telemedizin gewinnt an Bedeutung

Auch bei der immer wichtiger werdenden Telemedizin wird in Berlin-Brandenburg ein Fokus auf Herz-Kreislauf- Erkrankungen gelegt. Beispielsweise hat das Projekt 5GMedCamp zum Ziel, Patientinnen und Patienten nach Implantation eines permanenten Linksherzunterstützungssystems (LVAD) telemedizinisch mitzubetreuen. Gelingen soll das mit einem 5G-basierten kontinuierlichen Vitaldatentransfers in Kombination mit einem auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierenden klinischen Entscheidungsunterstützungssystem. Zu den Projektpartnern gehören neben der Charité, u.a. auch das Fraunhofer HHI und das Deutsche Herzzentrum der Charité.

Ebenso mit Datenübertragung im kardiovaskulären Bereich beschäftigt sich das ARTEMIS-Projekt, zu deren Partnern neben der Charité die Unternehmen Cyient, Synios sowie GETEMED Medizin- und Informationstechnik gehören. In dem dreijährigen Projekt, das bis Ende Oktober 2024 dauern wird, soll eine miniaturisierte EKG-Elektronik entwickelt werden, die mithilfe von KI direkt am Patienten in Echtzeit Vorhofflimmern erkennt. Die frühe Detektion soll unter anderem fatale Folgen wie Schlaganfälle verhindern.

Neben Arbeitskreisen und Projekten gibt es auch mehrere medizinische Einrichtungen in der Metropolregion zum Thema kardiovaskuläre Gesundheit. Die größte ist mittlerweile das Deutsche Herzzentrum der Charité (DHZC). Das DHZC entstand Anfang dieses Jahres, als die Charité und das Deutsche Herzzentrum Berlin – Stiftung des bürgerlichen Rechts (DHZB) ihre herzmedizinischen Einrichtungen zusammenschlossen. Mit acht Kliniken und Instituten, über 2.200 Mitarbeitenden und rund 470 Betten ist das DHZC eines der größten Herzzentren Europas.

Technik für einen gesunden Herzschlag

Eine lange Tradition in der medizinischen Versorgung von Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat das Unternehmen Biotronik. 1963 entwickelten der Physiker Max Schaldach und der Elektroingenieur Otto Franke den ersten implantierbaren Herzschrittmacher in Deutschland und gründete daraufhin das Unternehmen. Mittlerweise ist Biotronik mit seinen Herzschrittmachern, Stents und implantierbaren Defibrillatoren sowie telemedizinischen Dienstleistungen in über 100 Ländern vertreten und ist mit seinen mehr als 2.000 Mitarbeitern am Hauptsitz in Berlin einer der größten Arbeitgeber der Gesundheitswirtschaft in der Hauptstadtregion.

Auch mit anderen Unternehmen aus Berlin arbeitet Biotronik zusammen, beispielsweise dem Medizinproduktehersteller Getemed: Gemeinsam betreiben sie die digitale Patientenmanagement-Plattform für Herzinsuffizienz inCareNet HF. Die Daten für die Plattform stammen von Biotronik, die externen Messgeräte wie Körperwaage, EKG- und Blutdruckmessgerät von Getemed. Daneben bietet GETEMED auch Telemonitoring, Vitalfunktions-Monitoring und kardiologische Funktionsdiagnostik weltweit an. Lesen Sie hierzu auch unser Interview mit dem Geschäftsführer von Getemed, Michael Scherf.

Global aktiv ist auch das Unternehmen Berlin Heart, das von Berlin aus innovative Herzunterstützungssysteme entwickelt, sogenannte Ventricular Assist Devices (VADs), für die mechanische Herzunterstützung. Mit ihren Innovationen ist es Berlin Heart möglich, als einziges Unternehmen weltweit Patienten jeden Alters und jeder Größe zu unterstützen, angefangen bei Säuglingen bis zu Erwachsenen.

Um die Herzgesundheit ist auch das Unternehmen B. Braun Melsungen bemüht. Es fertigt in Berlin innovative medikamentenbeschichteten Ballonkatheter. Diese neuartigen Katheter können genau wie ein herkömmlicher Stent für eine dauerhafte Öffnung der Herzkranzgefäße sorgen, kommen dabei aber komplett ohne Metall aus und bieten einen Therapieansatz ohne permanentes Implantat.

Daten und Künstliche Intelligenz - das sind die Tools der x-cardiac GmbH. Das 2020 gegründete Unternehmen ist ein Spin-off aus dem Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC). Gründer und Geschäftsführer, Prof. Dr. Alexander Meyer, erkannte schon frühzeitig, dass man die zahlreichen Werte, die u. a. auf Intensivstationen bei Patienten und Patientinnen gemessen werden, besser nutzen kann und sollte. Das Berliner Unternehmen entwickelt eine Software, die mithilfe von KI die Muster von Nachblutungen oder Nierenversagen nach einer Herzoperation erkennt und Alarm schlägt, bevor schwere Komplikationen wie Organschäden eintreten können.

Nachsorge und Begleitung

Um die Nachsorge für Herzkranke nach einem Krankenhausaufenthalt kümmert sich beispielsweise das Projekt Cardiolotse von der AOK Nordost und Vivantes. Die Cardiolotsen stehen Herzkranken sowie deren ärztlich und therapeutisch Behandelnden als zusätzliche Ansprechpartner für die Beratung bei alltäglichen und professionellen Fragen zur Verfügung. Ziel ist es, eine bessere Betreuung zu verwirklichen und den Genesungsprozess so erfolgreich wie möglich zu gestalten.

Das Monitoring haben die beiden Start-Ups MyParamedic und Noah Labs in ihrem Fokus. Sie wollen Herzpatienten mehr Freiheit und gleichzeitig auch Sicherheit geben. So bietet MyParamedic einen digitalen Kardiotherapie-Assistenten als App an. Nach der Beantwortung von ein paar Fragen, wird ein Betreuungsplan entwickelt mit Übungen und ein individuelles Programm für die kardiale Rehabilitation erstellt. Eine integrierte KI bewertet dabei den Zustand der Patienten, analysiert Vitalparameter und passt gegebenenfalls den Betreuungsplan.

Noah Labs setzt ebenso KI ein: Mit unauffälligen Messgeräten, einer App und KI wird die Gesundheit der Herzpatienten und -patientinnen ortsunabhängig erfasst und in Echtzeit ausgewertet. Falls Werte Auffälligkeiten zeigen, nehmen die Ärzte mit den Patienten Kontakt auf.

Auch im Bereich regenerativer Therapien wird in Berlin produziert, entwickelt und geforscht. So stellt das Unternehmen Auto Tissue Berlin etwa ein zellfreies Gewebepflaster her, das in der Herzchirurgie zur Reparatur oder Erweiterung von verengten Gefäßen, zum Verschluss von Löchern im Herzen sowie zur Rekonstruktion von Herzklappen verwendet werden kann. Eine körpereigene Herzklappe für die Behandlung von Kindern und Erwachsenen möchte das Medizintechnikunternehmen GrOwnValve auf den Markt bringen. Mithilfe des bereits patentierten Verfahrens können demnach Kardiologen innerhalb von zwei Stunden während einer OP für die Patienten eine individuelle Herzklappe herstellen und minimalinvasiv über einen Herzkatheter einsetzen. Derzeit befindet sich GrOwnValve in der präklinischen Phase.

Die hier exemplarisch vorgestellten Institutionen, Initiativen und Unternehmen zeigen, dass sich bereits viel in puncto Kardiovaskulärer Gesundheit in der Metropolregion bewegt. Der Treffpunkt Gesundheitswirtschaft von der IHK Berlin und Berlin Partner Anfang Dezember hatte deshalb beim Thema „Wie lässt sich das Zusammenspiel von der Forschung und Entwicklung neuer Innovationen bis hin zur Anwendung bei größtmöglichem Patientennutzen gestalten?“ seinen Fokus beispielhaft auf Innovationen im Bereich der kardiovaskulären Erkrankungen gerichtet.

Bei den Vorträgen und Diskussionen wurde klar: Aspekte, die Innovationen von der Entwicklung bis zur Anwendung im gesamten Gesundheitssektor hemmen, wie etwa Fachkräftemangel, intersektorale Brüche oder Kostensteigerung, lassen sich durch viele bereits praktizierte Prozesse und Lösungen begegnen. Hierzu gehören u.a.:

  • Aufbau von Informations- und datengetriebenen Krankenhäusern,
  • systematische Digitalisierung und Standards,
  • Spin-offs aus Kliniken für anwenderorientierte Innovationen zu fördern
  • Datenschatz und KI nutzen für mehr Prävention, gezieltere Therapien, Prozesseffizienz und Patient-Outcome.

Letztlich sind vor allem die in alldem implizierten Kooperationen wichtig, um neue Entwicklungen voranzubringen, so der Tenor des Treffpunkts.

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