Interview: Dr. Ijad Madisch, Mitgründer und CEO von ResearchGate

Der Virologe und Informatiker Dr. Ijad Madisch hat mit ResearchGate – einer Art Facebook für Wissenschaftler – eines der wichtigsten Start-ups der Welt geschaffen. Die im Jahr 2008 mit seinen Freunden Sören Hofmayer und Horst Fickenscher gegründete Online-Plattform mit Hauptsitz in Berlin will Forschung effizienter machen. Mitglieder können dort ihre Experimente und Projekte teilen und mit anderen darüber diskutieren. Wie jüngst bekannt wurde, hat Madischs Netzwerk in einer Finanzierungsrunde bei den Investoren Wellcome Trust, Goldman Sachs Investment Partners und Four Rivers Group 52,6 Millionen US-Dollar eingesammelt. Im Interview spricht der 36-jährige Sohn syrischer Eltern über die Vorteile von Open Science und der Vernetzung mit Fachkollegen. Live können Sie ihn auf der BIONNALE am 17. Mai in Berlin erleben, wo er eine Keynote halten wird.

Dr. Madisch, Sie haben innerhalb weniger Jahre viel erreicht – unter anderem haben Sie Bill Gates davon überzeugt, gemeinsam mit weiteren Investoren 35 Millionen US-Dollar in Ihre Idee zu stecken. Was sind die besten Argumente für ResearchGate?   

Die derzeit 12 Millionen Mitglieder des Netzwerks sind das beste Argument für ResearchGate. Sie machen es zu dem Ort, wo Forschung heute stattfindet. Sie haben auf dem Netzwerk bereits mehr als 140 Millionen Kontakte geknüpft. Sie teilen täglich mehr als eine halbe Million Updates über ihre Forschung und monatlich mehr als 2,5 Millionen wissenschaftliche Publikationen – darunter auch solche, die traditionell nicht veröffentlicht werden, wie Code oder negative Ergebnisse. Im vergangenen Jahr haben wir „Projects“ an den Start gebracht. Das ist ein Feature, das Forscher nutzen, um in Echtzeit gemeinsam an Projekten zu arbeiten, unter den Augen von Fachkollegen und der Öffentlichkeit. Seitdem haben unsere Mitglieder mehr als 600.000 dieser Projekte angelegt und bieten so jedem Einblick in das, was in Laboren weltweit aktuell passiert. Denn alle Inhalte, die Wissenschaftler auf ihren Profilen öffentlich zeigen, sind für alle – auch ohne Profil – lesbar. ResearchGate vertritt das Prinzip von Open Science, ähnlich dem Open-Source-Prinzip: Alle Erkenntnisse in der Wissenschaft sollten für jeden frei zugänglich sein. 

Welche Bedeutung haben soziale Netzwerke wie ResearchGate für die Forschung?

Soziale Netzwerke haben im Allgemeinen keinen besonders hohen Stellenwert in der Wissenschaft – ResearchGate allerdings schon. Das haben mehrere Umfragen gezeigt, etwa im Wissenschaftsmagazin „Nature“: 88 Prozent aller befragten Wissenschaftler kannten ResearchGate. Es ist also bekannter als Twitter und Google+. Sie nutzen das Netzwerk, um sich mit anderen auszutauschen und ihre Forschung zu teilen. Was sie nur hier und nicht in anderen Netzwerken finden, ist das Feedback von Fachkollegen, das sie brauchen, um die eigene Forschung voranzutreiben. 

Welchen Stellenwert haben die Life Sciences bei ResearchGate?

Sie haben einen hohen Stellenwert: 29 Prozent unserer Mitglieder kommen aus der Medizin oder der Biologie.

ResearchGate hat sich in wenigen Jahren zum größten wissenschaftlichen sozialen Netzwerk entwickelt. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Das Wachstum des Netzwerks ist tatsächlich überwältigend. Zu den aktuell 12 Millionen Mitgliedern kommen täglich rund 10.000 hinzu. Hervorzuheben ist dabei, dass alle Mitglieder Wissenschaftler sind. Anmelden kann man sich nur mit der Email-Adresse einer akkreditierten Institution oder eines Unternehmens – oder in einem individuellen Prozess, mit einem Nachweis über die wissenschaftliche Tätigkeit. Erklären kann ich mir dieses Wachstum einerseits dadurch, dass alle Mitgründer von ResearchGate selbst einen Hintergrund in der Wissenschaft haben und dadurch die Bedürfnisse der Wissenschaftler aus erster Hand kennen. So hatten wir von Anfang an das klare Ziel, die Wissenschaftler zusammenzubringen und die Wissenschaft zu öffnen. Wir haben uns darauf konzentriert, das Netzwerk so zu bauen, dass dieser Mehrwert für den Wissenschaftler mit dem Netzwerk wächst. Diese Netzwerkeffekte haben dann zu großem, anhaltendem Wachstum geführt. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist unser Team: 300 Menschen aus mehr als 40 Nationen, die sich alle unserer Mission „connect the world of science – make research open to all“ verschrieben haben und das Wachstum des Netzwerks ermöglichen. 

Welche Pläne haben Sie mit der Plattform? 

Wir wollen weiterwachsen und der zentrale Ort für wissenschaftliche Daten online werden. Unsere Mitglieder haben Millionen Fachartikel zu ihren Profilen hinzugefügt und haben damit maßgeblich zur Öffnung der Wissenschaft beigetragen. Diese sind allerdings nur ein kleiner Teil der wissenschaftlichen Arbeit. Der viel größere Teil sind Forschungsdaten, die traditionell nicht veröffentlicht werden. Ist das doch der Fall, liegen sie oft in Datenbanken, die keine Rückschlüsse auf ihre Quelle und ihren Zusammenhang zulassen. Diese Forschungsdaten und ihr Kontext sind allerdings wichtig dafür, die Forschung von heute auch in Zukunft nachzuvollziehen und auf sie aufzubauen. Auf ResearchGate können Wissenschaftler Forschungsdaten zu ihren Profilen hinzufügen und in Projekte einordnen, um sie in Zusammenhang zu setzen. Das macht es leichter, die Daten zu verstehen und mit ihnen zu arbeiten.