Neue Substanzbibliothek in Berlin bündelt Wissen der chemischen Biologie

Die internationale Zusammenarbeit in der Wissenschaft erhält mit einem Verbundprojekt acht europäischer Länder eine neue Dimension: Die internationale Organisation „EU-OPENSCREEN ERIC“, dessen zentrales Element eine Substanzbibliothek in Berlin ist, ermöglicht auch externen Forschern ein umfangreiches Screening von Substanzen und stellt ihnen ein breites Spektrum an Technologien dafür zur Verfügung. So wollen die Initiatoren die über ganz Europa verteilten Fachkenntnisse und Ressourcen auf dem Gebiet der chemischen Biologie bündeln.

Gründungsmitglieder des Verbunds sind neben Deutschland noch Finnland, Lettland, Norwegen, Polen, Spanien und Tschechien. Dänemark wird dem Verbund im nächsten Jahr beitreten. In Deutschland beteiligen sich das Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie in Berlin, das ebenfalls in der Hauptstadt ansässige Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin und das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Diese Einrichtungen haben seit 2008 an dem EU-OPENSCREEN-Konzept gearbeitet. Darüber hinaus ist das Fraunhofer Institut für Molekulare Biologie und Angewandte Ökologie in Hamburg beteiligt. Auf dem Campus Berlin-Buch haben die Projektpartner das Zentralbüro eingerichtet. Derzeit sind 21 rechtlich unabhängige Partnerlabore in den beteiligten europäischen Ländern angeschlossen.

Externe Forscher profitieren

EU-OPENSCREEN steht für European Infrastructure of Open Screening Platforms for Chemical Biology. Das zentrale Substanzlager, das derzeit in Berlin entsteht, ist integraler Bestandteil des European Research Infrastructure Consortium (ERIC). Das Substanzlager ähnelt einer Bibliothek – wobei die Inhalte keine Bücher, sondern chemische Verbindungen sind. Diese sogenannten Compounds werden in einem großen Kühllager auf dem Campus Berlin-Buch aufbewahrt und können von externen wissenschaftlichen Nutzern in den Partnerlaboren systematisch im Hochdurchsatzverfahren per „Screening“ auf ihre biologische Wirkung getestet werden. Neben 100.000 kommerziellen Substanzen sollen bis zu 40.000 Moleküle aus akademischen Laboren hinzukommen. Die Initiatoren erwarten, dass bis zu 1000 europäische Chemiker, die die EU-OPENSCREEN-ERIC-Dienste nutzen werden, ihre Wirkstoffe dem Verbund zur Verfügung stellen.

Die Vielfalt natürlich vorkommender, biologisch aktiver Substanzen ist gigantisch. Darum sucht die chemische Biologie auch in diesem Naturstoff-Arsenal neue Wirkstoffe, die bestimmte biologische Prozesse gezielt beeinflussen können. Beispielsweise können Pflanzenstoffe wie Morphin oder Digitalis Schmerzen und Herzkrankheiten hochwirksam bekämpfen.

Moleküle sammeln und Hilfe bei Projektanträgen leisten

EU-OPENSCREEN-Projektmanagerin Dr. Katja Herzog vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie erklärt die Besonderheit des EU-OPENSCREEN ERIC Konzepts für akademische Chemiker: „Der einzigartige Mehrwert für Chemiker besteht darin, dass die biologischen Aktivitäten ihrer Verbindungen detailliert beschrieben und ihre Verbindungen als ‚Hits‘ identifiziert werden können. Dadurch können neue Kooperationen zwischen Chemikern und Biologen zur weiteren Verbesserung dieser Moleküle zustande kommen.“ 

In der Praxis erhalten die Partnerlabore Kopien der Substanzbibliothek für die Umsetzung von externen Nutzerprojekten direkt vom zentralen Substanzlager. In Verträgen wird geregelt, inwiefern die Partnerlabore eine Nachfüllgebühr an das ERIC leisten müssen, über die der Erhalt der Substanzbibliothek sichergestellt werden soll. Externe Wissenschaftler können über einen Projektantrag an das EU-OPENSCREEN-ERIC-Zentralbüro in Berlin und nachfolgend über ein Partnerlabor die Substanzbibliothek für ihre Projekte nutzen. Das Zentralbüro in Berlin wird zum einen das physische Substanzlager weiter aufbauen und pflegen. Zum anderen berät es externe Wissenschaftler bei der Beantragung von Fördermitteln und der Auswahl des Partnerlabors für das Testen der Substanzen.

Algorithmen sichern Qualität

Die Bibliothek resultiert aus einer Kombination von Computer-Algorithmen für die Wirkstoffauswahl, die während der Aufbauphase der Infrastruktur ausgewählt und auch veröffentlicht wurden. Alle kommerziellen und akademischen Verbindungen, die der Sammlung hinzugefügt werden, müssen diesen Regeln und Filtern entsprechen. Überschneidungen mit anderen Substanzsammlungen will man so möglichst verhindern.

Projektmanagerin Herzog sieht einen weiteren Vorteil in der neuen Substanzbibliothek: Die Entwicklung molekularer Werkzeuge, sogenannter „chemical tool compounds“, benötige geeignete Einrichtungen, Investitionen in Ausrüstung und erfahrenes Personal. All das sei für die Mehrheit der Forscher in Europa nicht verfügbar, wenn sie nicht institutionell an ein akademisches Screeninglabor angeschlossen seien. „EU-OPENSCREEN ERIC integriert alle notwendigen Ressourcenanforderungen auf europäischer Ebene und schafft die kritische Masse, um neue molekulare Werkzeuge kostengünstig zu entwickeln“, sagt Herzog. Neben ihrer Bedeutung für die Grundlagenforschung können einige dieser Werkzeuge dann auch mit Hilfe der Medizinalchemie die Grundlage für die Entwicklung neuer Medikamente bilden.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beteiligt sich an dem Projekt über einen Zeitraum von fünf Jahren mit rund 20 Millionen Euro. Nachdem das EU-OPENSCREEN-ERIC mit internationalen öffentlichen Mitteln gegründet wurde, will es seine Kosten nun über Beiträge der Mitgliedsstaaten decken.

Unser BIONNALE Tipp: Erleben Sie die Projektvorstellung von EU-OPENSCREEN auch beim BIONNALE Cooperation Track.