Interview | Prof. Dr. Peter Neubauer, Leiter des Fachgebiets für Bioverfahrenstechnik der TU Berlin, Mitbegründer und Leiter des KIWI-biolabs und ausgezeichnet mit dem Agilent Thought Leader Award

Ausgezeichnete Bioprozessanalytik

 

Der Leiter des Fachgebiets Bioverfahrenstechnik an der TU Berlin, Prof. Dr. Peter Neubauer, hat im Rahmen seiner wissenschaftlichen Karriere an verschiedenen Orten geforscht – unter anderem in Greifswald, Stockholm/Schweden, Halle (Saale) und Oulu/Finnland. Der Bioverfahrenstechniker ist Initiator und Leiter des KIWI-biolabs, einem weltweit führenden KI-Labor für die Entwicklung von Bioprozessen. Für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Bioprozessanalytik wurde er kürzlich mit dem Agilent Thought Leader Award ausgezeichnet. Wir haben mit ihm über seine Arbeit und seine weiteren Pläne gesprochen.

Herr Neubauer, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Auszeichnung mit dem Agilent Thought Leader Award! Welchen „Nerv“ haben Sie mit Ihrer Arbeit getroffen?

Seit meiner Diplomarbeit verbinde ich Bioprozesse mit anspruchsvollen analytischen Methoden, um die Komplexität von biologischen Systemen besser zu verstehen. Im Ergebnis stehen bis heute über 300 Publikationen – in den meisten Fällen Gruppenarbeiten –, die sich in irgendeiner Form mit Bioprozessen und Analytik auseinandersetzen. Als Forschungsgruppe haben wir zusammen mit unseren Partnern viele federführende Arbeiten im Bereich der Bioprozessanalytik publiziert und dafür anspruchsvolle Methoden genutzt. Im KIWI-biolab verfolgen wir die Vision einer weitgehend völlig automatisierten intelligenten Prozessentwicklung und kombinieren hierfür spannende biotechnologische Fragestellungen mit Methoden der Digitalisierung, Modellierung und intelligenten Versuchsplanung aber auch der Automatisierung, was uns international sehr sichtbar gemacht hat. Ich denke, es ist die Summe dieser Arbeiten, und letztendlich die Vision des KIWI-biolabs, die zu diesem Preis geführt haben. Wir sind Agilent als einem der international führenden Hersteller von analytischen Instrumenten für diese Wertschätzung sehr dankbar.

Sie haben 2019 das GRW-Netzwerk Bio-PAT gegründet. Welche Bedeutung haben Netzwerke für Ihre Arbeit?

Für mich ist es sehr wichtig, dass Forschung transdisziplinär ausgerichtet ist. Gerade durch die enge Zusammenarbeit von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen können aus meiner Sicht Sprunginnovationen in der Wissenschaft entstehen. Darum sollten transdisziplinäre Strukturen geschaffen werden, die Kommunikation und gegenseitiges Lernen zwischen verschiedenen Fachgebieten ermöglichen. In meinem Fall ist es so, dass reine bioverfahrenstechnische Fragen nur eine Seite meiner Arbeit sind. Bio-PAT steht für Bioprozess analytische Technologien. Damit sind einerseits moderne Messtechniken gemeint, andererseits schließt der Begriff aber auch die Digitalisierungsprozesse und die Datenflüsse und -strukturen mit ein, die letztendlich die robuste Kontrolle und Steuerung eines Prozesses möglich machen. Die reale Umsetzung dieser Strategien von der Integration der diversen Geräte im Labor über die Steuerung der Datenflüsse bis hin zu der automatisierten Durchführung der ganzen Arbeitsabläufe von komplexen Experimenten ist der Schlüssel, um Bioprozesse in Zukunft schneller und kostengünstiger zu entwickeln. Dafür muss man sich umfassend mit anderen Fachgebieten wie der Informatik oder dem System-Engineering auseinandersetzen. Aus diesen Gründen bin ich auch in verschiedenen anderen wissenschaftlichen Netzwerken aktiv.

2020 startete dann das BMBF-Projekt KIWI-biolab mit einer dreijährigen Laufzeit. Was genau ist hier das Ziel und wie geht es damit weiter?

Das KIWI-biolab ist ein internationales Zukunftslabor für künstliche Intelligenz in der Bioprozessentwicklung. Wir arbeiten an Möglichkeiten, künstliche Intelligenz für die Bioprozessentwicklung nutzbar zu machen, um diese kostengünstiger, schneller und erfolgreicher zu gestalten. Künstliche Intelligenz ist im Bereich der Biotechnologie vor allem für die Datengewinnung und -verarbeitung interessant. Der Unterschied zu den bisher allgemein bekannten Anwendungen von künstlicher Intelligenz ist folgender: Wir fangen mit wenigen Daten an und integrieren während eines Experiments gewonnene Daten in Modelle für maschinelles Lernen. Damit greifen zumindest am Anfang auf sehr limitierte Datensätze zurück. Um trotzdem einen maximalen Informationsgewinn zu erzielen, müssen spezifische neue Methoden angewandt und auch entwickelt werden.

Das ist eine große Aufgabe, die wir bis Ende 2024 fortsetzen können. Ich bin optimistisch, dass wir in der Zeit danach durch Kooperationen mit der Pharma- und Biotechnologie-Branche unsere spannenden und federführenden Arbeiten fortführen und ausbauen können.

Sie blicken auf eine langjährige Forschungskarriere zurück, darunter auch mit einer Station in Finnland. Seit 2008 sind Sie Professor an der TU Berlin. Wie schauen Sie auf unsere Region – was haben Sie schätzen gelernt und wo sehen Sie Herausforderungen?

Für mich war Berlin von Anfang an ein sehr spannender Ort, weil hier eine ungeheure Exzellenz aus verschiedensten Fachrichtungen zusammenkommt. Wie bereits geschildert, bin ich am transdisziplinären Arbeiten sehr interessiert, da man durch Diskussion über die Fachgebiete hinweg einen wirklichen wissenschaftlichen Mehrwert generieren kann. Berlin ist dafür ein wunderbarer Standort, da hier viele großartige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit außerordentlichem Idealismus, Innovationskraft und Flexibilität zusammenkommen. Hier bewegt sich viel und man kann hier viel bewegen. Eine Herausforderung dabei ist meiner Meinung nach, diese geballte Exzellenz zu steuern und die richtigen Player zusammenzubringen.

Ein nächstes Vorhaben haben Sie schon in der Planung: eine Art Reallabor für die pharmazeutische Produktion. Wollen Sie uns dazu ein paar Details erzählen?

Wir haben unser KIWI-biolab mit dem automatisierten Labor, in dem wir experimentell mikrobielle Prozesse entwickeln können – also Prozesse mit Bakterien, Hefen oder Pilzen. In der Pharmaindustrie spielen hingegen in vielen Fällen zellbasierte Prozesse eine große Rolle. Das sind Prozesse, die wir derzeit in unserem Labor nicht so einfach abbilden können. Deshalb bauen wir derzeit gemeinsam mit verschiedenen Pharmafirmen und Technologieunternehmen ein Konsortium auf, um in Berlin ein Reallabor zu schaffen, in dem unsere Methoden an Zellkultur-basierten Prozessen getestet werden können. Ziel ist es hierbei die neusten Erkenntnisse bei der Labordigitalisierung und -automatisierung abzubilden und diese Core Facility als ein Test-, Weiterbildungs-, und Servicecenter zu nutzen. Hierbei ist neben den genannten Aspekten die Zusammenarbeit mit den Zulassungsbehörden ein wesentlicher Aspekt um der Vision – robuste Prozesse für neue Wirkstoffe kostengünstiger, erfolgreicher und schneller zu entwickeln, näher zu kommen.

 

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