Fontane-Studie belegt Vorteile von Telemedizin für Herzpatienten

Kann die telemedizinische Mitbetreuung das Leben von Risikopatienten mit Herzschwäche verlängern und Krankenhausaufenthalte vermeiden? Und ist Telemedizin geeignet, regionale Versorgungsunterschiede zwischen Stadt und Land zu kompensieren? Diese Fragen hat das Fontane-Projekt der Charité – Universitätsmedizin Berlin unter Leitung von Prof. Dr. Friedrich Köhler mit verschiedenen Partnern und in enger Kooperation mit zwei großen Krankenkassen untersucht. Die Ergebnisse der fünfjährigen Studie „Telemedical Interventional Management in Heart Failure II“ (TIM-HF2) wurden Ende August auf dem Kongress der European Society of Cardiology (ESC) in München vorgestellt.

Rund 1,8 Millionen Deutsche leiden an einer chronischen Herzinsuffizienz, jährlich kommen rund 300.000 Neuerkrankungen hinzu. In den vergangenen zehn Jahren war sie die häufigste Ursache für stationäre Aufnahmen. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Gesundheitsregion der Zukunft Nordbrandenburg – Fontane“ hat ein Team um Prof. Dr. Friedrich Köhler vom Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin der Charité 1.538 Patienten mit dieser Herzerkrankung untersucht. Die Hälfte von ihnen wurde telemedizinisch mitbetreut, die andere Hälfte blieb konventionell behandelt. Die ärztliche Betreuung der Patienten am Wohnort wurde bundesweit durch 113 kardiologische und 87 hausärztliche Einrichtungen gewährleistet.

Weniger Krankenhausaufenthalte, längeres Leben

Ziel der Studie war es, die Patienten möglichst lange außerhalb eines Krankenhauses behandeln zu können, ungeplante kardiovaskuläre Krankenhausaufnahmen zu vermeiden und die Lebenserwartung sowie die Lebensqualität zu erhöhen. Zudem sollte überprüft werden, ob Telemedizin strukturelle Defizite der medizinischen Versorgung auf dem Land gegenüber städtischen Regionen ausgleichen kann. Die Studienergebnisse zeigen, dass die telemedizinische Mitbetreuung das Leben von Herzpatienten in der Tat verlängern kann. 

Im Durchschnitt verbrachten die telemedizinisch mitbetreuten Patienten 17,8 Tage pro Jahr durch ungeplante kardiovaskuläre Probleme stationär im Krankenhaus, bei der Kontrollgruppe waren es 24,2 Tage. Von 100 Herzinsuffizienzpatienten starben in einem Jahr unter den regulären Bedingungen etwa 11 Patienten, mit telemedizinischer Mitbetreuung hingegen etwa 8 Patienten. Darüber berichteten die Ärzte der Charité in der Fachzeitschrift The Lancet. Auch bei den ungeplanten Krankenhaustagen wegen Herzinsuffizienz gab es mit 3,8 gegenüber 5,6 Tagen einen Vorteil für die Telemonitoring-Gruppe. 

Diese Ergebnisse wurden unabhängig davon erreicht, ob der Patient in einer strukturschwachen ländlichen Gegend oder in einer versorgungsstarken Metropolregion lebte. Damit eignet sich die Telemedizin, um regionale Versorgungsunterschiede zwischen Stadt und Land auszugleichen. „Die Forschungsergebnisse ebnen den Weg für den breiten Einsatz von Telemedizin in Deutschland, sodass hoffentlich bald alle Betroffenen von einer besseren Behandlungsqualität profitieren können“, sagte Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF. Prof. Dr. Ulrich Frei, Ärztlicher Direktor der Charité, lobte die Telemedizin als „herausragendes Beispiel, wie hausärztliche Versorgung und universitäre Forschung der Charité ganz praxisnah und länderübergreifend zusammenarbeiten können.“ 

Persönlicher Kontakt und enge Betreuung

Für den Erfolg war Prof. Dr. Köhler zufolge der Einsatz einer sehr einfachen Technik entscheidend, die für die Patienten auch alltagspraktikabel war. Als technischer Konsortialführer stand ihm mit der GETEMED Medizin- und Informationstechnik AG ein erfahrenes Unternehmen aus Teltow (Brandenburg) zur Seite, das seit über 30 Jahren Medizinprodukte für die kardiologische Funktionsdiagnostik, das ambulante Vitalfunktions-Monitoring von Risikopatienten sowie für Telemonitoring entwickelt und produziert. „Wir sind sehr stolz darauf, dass wir dieses Meilenstein-Projekt von der ersten Stunde an begleiten konnten. Die herausragenden Forschungsergebnisse motivieren uns, weiterhin in Produkte der Telemedizin zu investieren und an der Überführung innovativer Betreuungsformen für chronisch kranke Patienten in die Regelversorgung zu arbeiten“, sagte der Vorstandsvorsitzende Michael Scherf.  

Das Team um Köhler hat Pflegefachkräfte direkt zu den Patienten geschickt, die sie im Umgang mit den Geräten geschult und alle vier Wochen strukturierte Telefongespräche mit ihnen geführt haben. „Der persönliche Kontakt und die enge Betreuung haben viele Patienten auch offener gegenüber der Technik und der Telemedizin werden lassen und sie motiviert, es auszuprobieren“, erklärt Köhler. Nun gelte es, ein Alltagsmodell zu entwickeln, um ein Vielfaches der Patientenzahl der Studie zu versorgen.

Kosteneinsparungen für das Gesundheitssystem möglich

Die telemedizinisch mitbetreuten Patienten erhielten vier Messgeräte: ein Elektrokardiogramm (EKG) mit Fingerclip zum Messen der Sauerstoffsättigung, ein Blutdruckmessgerät, eine Waage sowie ein Tablet zur Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes. Über das Tablet wurden die Werte automatisch an das Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin der Charité übertragen. Ärzte und Pflegekräfte des Zentrums bewerteten die übertragenen Messwerte regelmäßig und veränderten bei Bedarf die Medikation, empfahlen einen ambulanten Arztbesuch oder die Krankenhauseinweisung bei einer Verschlechterung. 

„In einem nächsten Schritt möchten wir unsere erhobenen Daten gesundheitsökonomisch analysieren und prüfen, welche Kosteneinsparungen für das Gesundheitssystem durch telemedizinische Mitbetreuung möglich sind. Zudem untersuchen wir ein Jahr nach dem Studienende, ob telemedizinische Mitbetreuung auch nach ihrem Abschluss einen nachhaltigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat“, erklärte Köhler. 

Erfolg dank Förderung und starken Partnern

Das Projekt „Gesundheitsregion der Zukunft Nordbrandenburg – Fontane“ wurde von 2009 bis 2018 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 10,2 Millionen Euro gefördert. Darüber hinaus hat das Land Brandenburg die technische Entwicklung des in der Studie verwendeten Telemedizinsystems mit 4,5 Millionen Euro unterstützt. Projektpartner sind die GETEMED Medizin- und Informationstechnik AG, die Deutsche Telekom Healthcare and Security Solutions GmbH, die Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik GmbH, die Thermo Fisher Scientific Clinical Diagnostics Brahms GmbH sowie die assoziierten Kooperationspartner AOK Nordost und BARMER.

 

Erfahren Sie mehr zu Prof. Dr. Friedrich Köhler, Leiter des Zentrums für kardiovaskuläre Telemedizin an der Charité, in unserer Newsletter-Rubrik „Steckbrief“.