Pflegeheimbewohnende werden in Berlin besser versorgt als bundesweit

Qualitätsatlas Pflege zeigt dennoch Handlungsbedarf

Menschen in Berlin erleben in Pflegeheimen seltener kritische Ereignisse als im Bundesdurchschnitt. Es betrifft insbesondere die pflegerische, ärztliche und therapeutische Versorgung. Das zeigt der aktualisierte „Qualitätsatlas Pflege“, den das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) jetzt veröffentlicht hat. Doch auch in Berlin gibt es Potenzial für Verbesserungen.

Ein anhaltendes bundesweites Problem ist der Auswertung zufolge die Dauerverordnung von Beruhigungs- und Schlafmitteln bei Pflegeheimbewohnenden: So erhielten in Deutschland 7,1 Prozent von ihnen im Jahr 2023 eine Dauerverordnung von Benzodiazepinen, Benzodiazepin-Derivaten und Z-Substanzen. In Berlin liegt der Wert bei 5 Prozent.  

Die genannten Arzneimittel wirken kurzfristig schlaffördernd, beruhigend und angstlösend. Nach vier Wochen sind diese Effekte aber nicht mehr gegeben. Bei langfristiger Gabe drohen eine medikamentöse Abhängigkeit, eine erhöhte Sturzgefahr sowie das Auftreten von Angst und Depressionen. „In Deutschland zählen diese Wirkstoffe zu den häufigsten potenziell inadäquat verschriebenen Medikamenten für ältere Menschen“, erklärt Susann Behrendt, Forschungs- bereichsleiterin Pflege im WIdO.

Dünne Personaldecke mit Gabe von Beruhigungsmitteln assoziiert

Jens Kreutzer, Pflegeexperte bei der AOK Nordost, sagt dazu: „Die Auswertungen des WIdO zeigen für Berlin erfreuliche Ergebnisse. Sie zeigen aber auch, dass man sich weiterhin gut um das Personal kümmern muss. Denn eine erhöhte Dauergabe von Ruhigstellern hängt häufig mit einer knappen Personaldecke zusammen. Daher ist es gut und richtig, wenn in Pflegeeinrichtungen künftig durch die Pflegeassistenzausbildung mehr unterstützendes Personal Betreuungsaufgaben wahrnehmen kann.“

Die Assistenzkräfte übernehmen in diesen Fällen die eigentliche Sorgearbeit, für die überlasteten Fachkräften mitunter die Zeit fehlt. „Die Assistenzkräfte müssen mit mehr Kompetenzen ausgestattet werden, nicht zuletzt, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Das Gesetz dazu liegt schon in der Schublade. Die neue Bundesregierung muss es nun zügig über die Ziellinie tragen“, so Pflegeexperte Kreutzer.

„Langfristig braucht es wirksame Strukturveränderungen. Ziel muss es auch sein, mehr Ressourcen in Pflegeprävention und in lokale Sorgestrukturen zu investieren. Hier können etwa Caring Communities ansetzen. Um diese regionalen Versorgungsangebote und Netzwerkstrukturen umsetzen zu können, benötigen Kranken – und Pflegekassen flexiblere regionale Vertrags- und Steuerungsinstrumente“, sagt Kreutzer.

Rund die Hälfte der Diabetes-Patienten ohne augenärztliche Versorgung

Klare Defizite in der Versorgungsqualität zeigen sich auch an der Schnittstelle zur ambulant-ärztlichen Versorgung: So haben bundesweit 79,2 Prozent der an Diabetes erkrankten Pflegeheimbewohnenden im Jahr 2023 keine augenärztliche Vorsorge erhalten. In Berlin waren es 55 Prozent – und damit mehr als die Hälfte. Dabei sehen die medizinischen Leitlinien eine regelmäßige Kontrolle der Augen vor, um frühzeitig Veränderungen der Netzhaut zu erkennen und irreversible Sehstörungen zu vermeiden.

Pflegeforscherin Behrendt vom WIdO erläutert: „Gerade der Erhalt der Sehkraft ist ein wesentlicher Faktor für Lebensqualität und Selbstständigkeit. Bei Verlust drohen soziale Isolation, psychische Beeinträchtigungen sowie ein erhöhtes Risiko für Verletzungen.“ Jens Kreutzer ordnet die vergleichsweise guten Berliner Ergebnisse ein: „In den Ergebnissen spiegeln sich auch die Herausforderungen in der flächendeckenden Versorgung mit Fachärztinnen und -ärzten in den Flächenländern wider. In Berlin ist die Versorgungslage im Vergleich besser. Doch auch hier zeigen die Daten Verbesserungsbedarf auf.“

Zehn Indikatoren an den Schnittstellen der Versorgung von Pflegebedürftigen

Neben den genannten Indikatoren betrachtet der „Qualitätsatlas Pflege“ noch weitere Themen im regionalen und zeitlichen Vergleich, zum Beispiel sturzbedingte Krankenhausaufenthalte, vermeidbare Krankenhausaufenthalte in der letzten Lebensphase oder das Auftreten von Drückgeschwüren der Haut, fachlich als Dekubitus bezeichnet.

Das WIdO hat die Auswertungen von insgesamt zehn Indikatoren aufbereitet, um die Versorgungsqualität in Pflegeheimen bis auf Kreisebene transparent zu machen. Diese kleinräumige Analyse kann den Verantwortlichen vor Ort helfen, gezielt nach den Ursachen für die regionale Unterversorgung zu fahnden.

Zum Qualitätsatlas Pflege: www.qualitaetsatlas-pflege.de 

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Hinweise für Journalistinnen und Journalisten:

Die WIdO-Analysen für den Qualitätsatlas Pflege beruhen auf den Abrechnungsdaten der elf AOKs, die rund ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland versichern. Dabei wurden die Daten aus der Kranken- und aus der Pflegeversicherung einbezogen und miteinander verknüpft. Zur Darstellung von räumlichen Verteilungsmustern bei der Versorgungsqualität nutzt das WIdO ein wissenschaftlich entwickeltes Set von Qualitätsindikatoren für die Pflege (QCare-Indikatoren).

Insgesamt sind in die Auswertung die Daten von rund 350.000 Pflegeheimbewohnenden ab 60 Jahren eingeflossen. Das entspricht knapp der Hälfte aller stationär versorgten Pflegebedürftigen in Deutschland. Im Online-Portal „Qualitätsatlas Pflege“ des WIdO sind die Ergebnisse für die einzelnen Bundesländer und für die rund 400 Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland im regionalen Vergleich dargestellt. Die Ergebnisse zu zehn betrachteten Themen können nun auch als Zeitreihen für die Datenjahre 2017 bis 2023 betrachtet werden.
 

Dirk Becker
Pressesprecher
AOK Nordost. Die Gesundheitskasse.
Telefon: 0800 265080-22202*
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