Spezialthema | Nicht allein mit Seltenen Erkrankungen – Hilfe für Betroffene und bessere Therapien aus der Hauptstadtregion

Seltene Erkrankungen tragen ihr Dilemma schon im Namen: Sie kommen selten vor. Forschung, Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Medikamenten und Therapien lohnen sich daher oft nicht. Umso wichtiger sind Initiativen, Unternehmen und medizinische Einrichtungen, die sich trotzdem engagieren – viele von ihnen von der Metropolregion Berlin-Brandenburg aus.

 

 

Als 2008 erstmals der Tag der Seltenen Erkrankungen ausgerufen wurde, wählte man ein symbolträchtiges Datum: den 29. Februar. Es kommt nur alle vier Jahre vor und soll in seiner Seltenheit auf die Seltenen Erkrankungen aufmerksam machen. Außerhalb eines Schaltjahres wird der Tag am 28. Februar begangen.  

Als selten gilt eine Erkrankung in der Europäischen Union, wenn weniger als fünf von 10.000 Menschen an ihr leiden. Auf Englisch werden die Leiden auch „Orphan Diseases “ genannt, insgesamt gibt es laut Bundesgesundheitsministerium mehr als 6.000 unterschiedliche Seltene Erkrankungen. Demnach leben allein in Deutschland etwa vier Millionen Menschen mit einer Seltenen Erkrankung, die es oft schwer haben, adäquate Hilfe und Therapien zu bekommen.  

Fachlicher Rat und Hilfe sind rar 

Viele in Berlin ansässige Unternehmen aus der Gesundheitsbranche setzen sich mit Seltenen Erkrankungen auseinander und versuchen auf unterschiedlichen Wegen Menschen mit Seltenen Erkrankungen zu helfen. Denn aufgrund der Seltenheit gestaltet es sich unter anderem schwer, Probanden für Studien zu finden, es gibt nur eine geringe Anzahl von Expertinnen und Experten für Seltene Erkrankungen und der Weg bis zur richtigen Diagnose dauert oft Jahre. Ist die Diagnose endlich gestellt, bedeute das jedoch noch lange nicht, dass die Krankheit behandelbar ist, so der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Lediglich für zwei Prozent der Orphan Diseases seien Arzneimittel verfügbar – es brauche also noch viel Forschung für neue Medikament und deren Förderung. Nach Angaben des Verbands die forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) waren im vergangenen Jahr immerhin mehr als ein Drittel der neu eingeführten Medikamente Mittel gegen Seltene Erkrankungen.  

Vereine unterstützen Betroffene und klären auf 

Um Betroffene besser zu unterstützen und zu vernetzen, wurde unter anderem 2004 die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e.V. gegründet. Mit Sitz in Berlin agiert die ACHSE bundesweit und fungiert als Dachverband von Selbsthilfeorganisationen von Menschen, die mit einer Seltenen Erkrankung leben – die Mitglieder der ACHSE sind also zahlreiche gemeinnützige Vereine, die jeweils Seltene Erkrankungen vertreten. Die Liste der ACHSE-Aktivitäten ist lang: Sie reicht von Interessensvertretung und Öffentlichkeitsarbeit über die Unterstützung von Betroffenen und Angehörigen, bis hin zur Informationsbereitstellung und der Vernetzung von Ärzten und Therapeuten.  

Auch der gemeinnützige Verein Gesundheitsstadt Berlin macht die Seltenen Erkrankungen zu einem eigenen Thema und veröffentlicht und bündelt auf seinem Portal alle wichtigen Nachrichten zu Seltenen Erkrankungen.  

Unternehmen engagieren sich zum Thema 

Viele in Berlin ansässige Unternehmen aus der Gesundheitsbranche setzen sich ebenfalls mit Seltenen Erkrankungen auseinander und versuchen auf unterschiedlichen Wegen Betroffenen zu helfen. Etwa wie das japanische Pharmaunternehmen Takeda, das seinen Deutschlandsitz in Berlin hat und in Oranienburg einen Produktionsstandort für Arzneimittel unterhält. Takeda forscht seit vielen Jahren an Therapien für Seltene Erkrankungen. Darüber hinaus unterstützt das Unternehmen mit der Initiative gegen Seltene Erkrankungen „SE! Stark Engagiert“ die Suche nach neuen und schnelleren Diagnosewegen für Seltene Erkrankungen. Der Geschäftsführer von Takeda, Jean-Luc Delay, ist Mitglied des Präsidiums des Verbandes Forschender Pharmaunternehmen (vfa) und führt den Vorsitz für den neu gegründeten Ausschuss für Orphan Drugs. „Für mich sind Orphan Drugs Hoffnung und Lebensqualität für sehr kleine, vulnerable Patientengruppen, die leider zu oft übersehen werden“, sagte Jean-Luc Delay bei seiner Wahl ins Präsidium. „In meiner neuen Funktion setze ich mich für diese Patientinnen und Patienten ein und möchte Seltene Erkrankungen ganz oben auf der politischen Agenda platzieren.“ 

Ein weiteres Unternehmen, das zu Seltenen Erkrankungen forscht, ist Sanofi, dessen Zentrale für das Deutschlandgeschäft in Berlin ist. Der Pharmakonzern hat einen eigenen Geschäftsbereich für Orphan Diseases und konzentriert sich dabei auf lysosomale Speicherkrankheiten. Mittlerweile umfasst diese Gruppe mehr als 60 verschiedene Erkrankungen. 

Das Berliner Start-Up Ada Health will u.a. für Menschen mit Seltenen Erkrankungen mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) den Weg zur richtigen Diagnose verkürzen. Dazu haben die Gründer eine App entwickelt, in der Patienten zunächst Fragen zu Symptomen eingeben. Die KI bewertet dann die Antworten anhand eines medizinischen Wörterbuchs zu tausenden von Störungen und Krankheiten, entwickelt einen personalisierten Bewertungsbericht und gibt Tipps zum weiteren Vorgehen.  

Auf KI zum schnelleren Auffinden von Seltenen Erkrankungen setzt auch Nostos Genomics. Da laut dem Berliner Unternehmen über 80 Prozent der Seltenen Krankheiten genetisch bedingt sind, wurde die KI-gesteuerte Plattform AION entwickelt, die Gentests mithilfe der KI analysiert und interpretiert.  

Etwa hundert Seltene Erkrankungen alle zehn Jahre möchte das Rostocker Diagnostik-Unternehmen Centogene therapierbar machen, das auch in Berlin einen Standort unterhält. Erreicht werden soll das ehrgeizige Ziel mit der Centogene-Biodatenbank: dem weltweit größten realen Datenrepositorium für seltene und neurodegenerative Erkrankungen. Mithilfe der biologischen Proben werden nicht nur Patienten diagnostiziert, sondern die Daten werden mithilfe von KI durchsucht, um Krankheitswege besser zu verstehen und weltweit Ärzte bei der Patientenbehandlung zu unterstützen.  

Dieses Know-how will auch das Pharmaunternehmen Pfizer, das selbst schon lange zu Seltenen Erkrankungen forscht, nutzen. Dafür kooperiert Pfizer mit Centogene, um Zugang zu der Biodatenbank zu erhalten und eigene Daten beizusteuern. So sollen gemeinsam neue Therapien für Seltene Erkrankungen entwickelt werden.    

 

Anlaufstellen für Seltene Erkrankungen 

Eine der mittlerweile bekanntesten Seltenen Erkrankungen ist die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Die Charité – Universitätsmedizin Berlin betreibt eine Ambulanz für ALS und andere Motoneuronerkrankungen. Hier forscht neben der ambulanten Betreuung von mehr als 700 Patientinnen und Patienten ein multiprofessionelles Team zur Behandlung und Versorgung als auch zu den Entstehungsmechanismen der ALS. Eine wichtige neue Entwicklung stellen hierbei genetische Medikamente dar, die bereits einige Patientinnen und Patienten nach einer genetischen Diagnostik auf spezifische Mutationen im Rahmen von Härtefallprogrammen erhalten. Die Behandlung, Versorgung und Erforschung der ALS ist in Deutschland stark unterfinanziert, weshalb die Ambulanz unter anderem auf Spenden angewiesen ist.

 

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