Aktuelles Interview: Netzwerkmanagerin Dr. Cora Lüders-Theuerkauf und Strategic Advisor Stefanie Brickwede

Der Healthcare Sektor ist für die Entwicklung und Durchdringung von 3D Druck einer der spannendsten Segmente; die Patientenversorgung blickt auf eine Zukunft bei der die individuelle Fertigung von Prothesen, Implantaten und wahrscheinlich ganzen Organen mithilfe dieser Techniken Standard sein könnte. Für eine Schnittstelle zwischen Awareness, konkreten Entwicklungsprozessen und Gesetzgebung wurde jetzt das Netzwerk „Medical goes Additive“ in Berlin gegründet.

Wir haben mit Netzwerkmanagerin Dr. Cora Lüders-Theuerkauf und Strategic Advisor Stefanie Brickwede über die Services des Netzwerks und die Zukunft von 3D Fertigungstechnologie gesprochen.

Frau Dr. Lüders-Theuerkauf, Frau Brickwede, das Netzwerk Medical goes Additive bietet für den Gesundheitsmarkt eine Wissens- und Transferplattform für ihre Partner im Bereich Additive Fertigung. Wie hat sich das Netzwerk in der Hauptstadtregion gebildet?

S. Brickwede: Entstanden ist die Idee für die Gründung von Medical goes Additive zum einen durch Mitglieder von Mobility goes Additive (MgA), die sich u.a. mit unterschiedlichen AM-Technologien und der Materialentwicklung beschäftigen. Darüber hinaus unterliegen AM Technologien in der Medizin / Medizintechnik einem zweistelligen Wachstum, mehr als in der Industrie und dem Automobilsektor. Gerade in der Hauptstadtregion gibt es zahlreiche Firmen, die anwendungsbezogen in unterschiedlichen medizinischen Feldern wie z.B. der Orthopädie und Dentalanwendungen tätig sind. Im Gewerbegebiet Marienpark entsteht aktuell ein zentraler Punkt für additive Fertigung (IAM Hub), dessen Initiator maßgeblich MgA ist.

Für welche Akteure ist Medical goes Additive besonders interessant und warum?

C. Lüders-Theuerkauf: Medical goes Additive ist für alle Anwender im Bereich der Medizin, die sich mit AM Technologien beschäftigen bzw. beschäftigen möchten und geeignete Partner suchen, interessant. Dazu zählen nicht nur Hochschulen und Forschungsinstitute, sondern insbesondere klein- und mittelständische Unternehmen, die stark anwendungsbezogen arbeiten. Das besondere an Medical goes Additive ist die Zusammensetzung der Mitglieder aus unterschiedlichen Branchen wie u.a. Orthopädie, Kardiologie, Neurochirurgie, Modellbau (OP und Schulungsmodelle) und Medizingerätehersteller kombiniert mit den Druckerherstellern, Druckdienstleistern, Material- und Softwareentwicklern, Akkreditierungsstellen usw. und ihr Wunsch, gemeinsam individuelle Lösungen bei medizinischen Fragestellungen zu finden. Dazu zählen die Steigerung des technologischen Bewusstseins für AM Technologien in der Medizin, gemeinsame Entwicklungen durch eine branchenübergreifende Inspiration, gemeinsame Erarbeitung verkürzter Zertifizierungsprozesse sowie die Entwicklung von Märkten und neuen Geschäftsmodellen. Viele Akteure kennen oftmals potentielle Partner für eine Zusammenarbeit gar nicht. Hier ist die Kernkompetenz von Medical goes Additive: Schaffung einer zentralen Anlaufstelle für AM in der Medizin sowie internationale Akteure vernetzen, deren Know-How weiter aufbauen und weitergeben, als auch Synergien zwischen den Märkten nutzen.

Wo sehen Sie neben dem breiten Zukunftspotenzial die größten Herausforderungen für Additive Fertigungsverfahren im Medical Bereich? Welche Möglichkeiten bietet die Hauptstadtregion?

C. Lüders-Theuerkauf: Einige der größten Herausforderungen sind die zertifizierten Zulassungsprozesse für medizinische Produkte. Durch die Änderung der am 5. Mai 2017 in Kraft getretenen Medizinprodukteverordnung (Verordnung (EU) 2017/745) müssen neue Richtlinien eingehalten werden. Für AM gefertigte Produkte ist oft noch keine spezifische Richtlinie verfügbar. Nur gemeinsam mit Rechtsberatern, Behörden und akkreditierten Stellen sind diese Anstrengungen für die Anwender umsetzbar, um rechtliche Sicherheit für die Herstellungsprozesse und Produkte zu erhalten. Eine weitere Herausforderung ist die Förderung mittelständischer Unternehmen, die im Medizinsektor tätig sind. Dazu zählt nicht nur die finanzielle Förderung, sondern insbesondere die wissenschaftliche und technologische Förderung mit Know-How und Prozessketten. Die Hauptstadtregion mit ihren zahlreichen Netzwerken und Institutionen, die im Bereich Wirtschafts- und Technologieförderung tätig sind, wie z.B. Berlin Partner, sind da eine enorm unterstützende Kraft.

Gehen wir etwas in die Tiefe. Neben Zertifizierungsaspekten spielt Kosteneffizienz für Unternehmen in diesem Bereich eine übergeordnete Rolle. In dem Zusammenhang nimmt insbesondere die Bedeutung des (digitalen) Lieferkettenmanagements weiter zu. Inwiefern kann ein Netzwerk hier entscheidenden Mehrwert bieten?

C. Lüders-Theuerkauf: Das Netzwerk verfügt mit seinen zahlreichen Mitgliedern aus unterschiedlichen Branchen über Kontakte, die einem einzelnen oft nicht zur Verfügung stehen. Hier liegt auch der entscheidende Mehrwert für einzelne Akteure. Durch die Zusammenführung von potentiellen Partnern ist überhaupt erst ein gemeinsames Handeln, insbesondere auf der Ebene von verkürzten Zertifizierungsprozessen, möglich. Eine Plattform in Form einer Webseite und eines Newsletters informiert darüber hinaus über die Aktivitäten des Netzwerkes wie z.B. Arbeitsgruppen, Veranstaltungen usw. als auch über die einzelnen Mitglieder selbst.

Wo sehen Sie Deutschland und insbesondere die Hauptstadtregion im internationalen Vergleich bei 3D Fertigungstechnologie? Wie werden sich die Technologie und auch die Anwendungsfelder weiterentwickeln?

S. Brickwede: Deutschland setzt im Bereich der AM Technologien weltweit Akzente. Viele Unternehmen aus dem Bereich der Druckerherstellung, der Druckdienstleistung oder der Materialentwicklung kommen aus Deutschland. Auch der Mittelstand setzt verstärkt auf AM Technologien und erweitert bzw. ändert nach und nach seine konventionellen Herstellungsprozesse wie z.B. Spritzgussverfahren hin zu additiven Fertigungsverfahren. Mit zunehmender Analyse der Prozesse und ihrer Endprodukte wird die qualitative Vergleichbarkeit deutlich bei einer gleichzeitigen Zeit- und Kostenersparnis. Gerade bei Individuallösungen, Einzel-und Kleinserienanfertigungen in der Medizin ist die Additive Fertigung eine echte Innovation. Auch bei ersten Großserien wie z.B. der Herstellung von Hörgeräten ist die Additive Fertigung neuerdings das dominierende Verfahren. Die Idee der AM Technologien ist es, zukünftig kostengünstig, personalisiert und schnell Lösungen in der Medizin anzubieten, die die Behandlung von Patienten und deren Lebensqualität nachhaltig verbessern und Kostenstrukturen in Praxen und Krankenhäusern entlasten.

Gibt es etwas was Sie sich seitens gesetzlicher Rahmenbedingungen noch wünschen würden?

C. Lüders-Theuerkauf: Gemeinsame , sowohl für die Fertigung, als auch das Endprodukt sind absolut notwendig. Dazu ist die Zusammenarbeit zwischen Anwendern, Anbietern, Behörden und Zulassungsstellen essentiell. Ein Beispiel ist die Haftung für AM gefertigte Produkte im Bereich der Medizintechnik. Klare gesetzliche Vorgaben vereinfachen die Handlungsfähigkeit der gesamten Branche und ermöglichen es den Herstellern, qualitativ hochwertige, personalisierte neue (Medizin-)Produkte zuzulassen mit dem Ziel, die Patientensicherheit zu schützen und zu Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern.