Interview mit Prof. Dr Sylvia Thun, Director Core Unit eHealth and Interoperability (CEI), Berliner Institut für Gesundheitsforschung / Berlin Institute of Health (BIH) zum Kompendium „Frauen in der digitalen Zukunft der Medizin und Gesundheitswirtschaft“

 

 

 

 

Was war der Impuls dieses Buch zu schreiben und was ist das Besondere an dem Kompendium? Was bietet die Lektüre ihren Leser:innen? 

Der Impuls für das Buch kam im vergangenen Jahr aus dem #Shehealth-Netzwerk, das bereits seit sechs Jahren Frauen aus dem Bereich Digital Health zusammenbringt. Besonders ist hier, dass erfolgreiche Wissenschaftlerinnen und Ärztinnen erstmalig über ihre Erfahrungen im Bereich Digital Health sprechen und positiv darüber berichten, wie man diesen von Männern dominierten Teil der Gesundheitsbranche durch weibliche Führungskräfte verändern kann.

Wie erleben Sie in der deutschen Digital Health-Landschaft die Rolle von Frauen und in welchen Bereichen in der Digitalisierung würde eine stärkere Rolle von Frauen den Gesundheitsbereich konkret voranbringen? 

Bisher haben Frauen so gut wie keinen Einfluss auf die Entwicklung von Digital Health in Deutschland gehabt. Auch im Bereich der Projektförderung ist hierzulande die Frauenförderung zu wenig im Fokus. Wie Frauen in Führungspositionen gebracht werden können, ist da nur ein Aspekt, um das Thema voranzubringen. Es muss mehr in einem ganzheitlichen Ansatz gedacht werden – von der Art wie und wofür Daten erhoben werden bis hin zur Sichtbarkeit von Frauen.

Welche Stellschrauben müssten gedreht werden, damit es mehr Expertinnen in Sachen E-Health/Digital Health gibt? Und hat sich in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren (im Vergleich zu vor 10-15 Jahren) schon etwas geändert?

Zumindest ist heute im Vergleich zu früher das Thema der fehlenden Einflussmöglichkeiten der Frauen als solches sichtbar. Es gibt Initiativen auch jenseits von Digital Health, die sich für mehr Frauen in Führungsrollen im Gesundheitssystem einsetzen, wie etwa die „Spitzenfrauen Gesundheit“. Sie unterstützen und fordern politische Ansätze, die mehr Frauen in Führungsrollen bringen wollen, etwa in der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Insgesamt bemerkt man schon eine Art Aufbruchsstimmung.

Welche Besonderheiten sind Ihnen in der Region Berlin-Brandenburg aufgefallen und gibt es hier erfreuliche Entwicklungen?

Wenn man die reinen Zahlen der Frauen in wichtigen Positionen sieht, besteht in Berlin-Brandenburg noch Entwicklungsbedarf. Der Blick auf die Förderprogramme, die zum Beispiel im BIH angeboten werden und darüber hinaus, lässt erkennen, dass viel gemacht wird, um das zu ändern. Es gibt auch viele Forscherinnen und Chefärztinnen in der Region, aber insgesamt sind es noch viel zu wenig. Und die, die da sind, werden oft durch Selbstverwaltungsaufgaben eingeschränkt, da in vielen Gremien mittlerweile Parität gefordert ist und diese wenigen Forscherinnen dann von Ihrer Arbeit abgehalten werden.
Umso erfreulicher ist, dass der Anteil der Frauen im Beirat des Clusters Gesundheitswirtschaft nunmehr bei über 40 Prozent liegt. Auch in Sachen Frauenförderung nehmen wir das Masterplanmotto ‚Zukunft der Gesundheit‘ ernst!

Hat sich die Arbeit am Kompendium auf Ihre persönliche Sicht ausgewirkt?

Ja, in dem Kompendium kommen viele Sichtweisen zusammen, etwa die von jungen Müttern oder von erfahrenen Role-Models. Insgesamt habe ich viele – auf eine angenehme Art – freche Sichtweisen von jungen Frauen kennengelernt, die ich für ihr Selbstbewusstsein bewundere und die mir neue Erkenntnisse gegeben haben. In diesem Sinne hat mir jeder einzelne Beitrag auf eine gewisse Weise nochmal die Augen geöffnet.