Bessere Gesundheitsversorgung auf dem Land – Templin zeigt wie es gehen kann

Wie kann die ärztliche Versorgung der älteren Landbevölkerungen gewährleistet werden, ohne dass die Patienten ständig ins Krankenhaus müssen? Dieser Fragestellung hatte sich das Großprojekt IGiB-StimMT für die Region Templin angenommen. Unter Beteiligung von Akteuren aus dem Gesundheitswesen wie etwa der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg, der SANA Kliniken Berlin-Brandenburg sowie der AOK Nordost und der BARMER wurden vier Jahre lang Methoden und Strategien getestet, um die gesundheitliche Versorgung zu verbessern. Im Rahmen des Projekts hat sich dort unter anderem ein neues Ärztenetzwerk gebildet. Die Ergebnisse von IGiB-StimMT sollen nun bundesweit helfen, die Gesundheitsversorgung in ländlichen Region zu verbessern.

 

 

 

Auf dem Land gibt es in vielen Regionen ein gesundheitliches Versorgungsproblem: Zu wenige Mediziner und Ärzte, zu lange Wege zu medizinischen Versorgungseinrichtungen sowie eine im Schnitt älter werdende Bevölkerung, für die das alles ein schwer überwindbares Problem darstellt. Die Region Templin im Norden Brandenburgs ist da keine Ausnahme. „Die Region Brandenburg hat die geringste Arztdichte in Deutschland“, sagt Lutz O. Freiberg, Geschäftsführer der IGiB. „Das ist vor allem für die ältere Bevölkerung ein Problem und wir wollten hier Verbesserungen schaffen.“

Die IGiB ist eine Arbeitsgemeinschaft, die 2009 von der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg sowie der AOK Nordost und der Regionalvertretung der Barmer gegründet wurde. Das Ziel der IGiB ist, die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen zu verbessern. Zusammen mit den Sana Kliniken Berlin-Brandenburg GmbH startete sie daher 2017 das Projekt IGiB-StimMT (kurz für Strukturmigration im Mittelbereich Templin). Das Projektmanagement lag bei der AGENON Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Gesundheitswesen. Weitere Konsortialpartner waren die KV COMM GmbH und das inav Institut für angewandte Versorgungsforschung GmbH (Evaluation). Lutz O. Freiberg hat das Projekt als Geschäftsführer der IGiB mitverantwortet und geleitet. Der Bund förderte es mit 14,5 Millionen Euro.

 

Ziele des IGiB-StimMT

Als übergeordnetes Projektziel sollte eine Versorgungsstruktur geschaffen werden, die an die regionalen Bedarfe der Bevölkerung angepasst ist – also die demografischen und epidemiologischen Veränderungen berücksichtigt. In diesem Zuge sollten vor allem Krankenhausaufenthalte so weit wie möglich vermieden werden, indem bereits bestehende und neue sowie erweiterte ambulante Versorgung an ihre Stelle treten. Darüber hinaus wurde eine Verbesserung der wohnortnahen medizinischen Versorgung erprobt, um sie in Bezug auf die Grundversorgung möglichst gleichwertig zu Ballungsräumen zu gestalten.

Für die Umsetzung wurden fünf Teilprojekte festgelegt, die von unterschiedlichen Konsortialpartner verantwortet wurden:

  • Teilprojekt 1: Grundversorgungsgemeinschaft und Arzt- und Psychotherapeutennetz
  • Teilprojekt 2: Anpassung und Ausbau der ambulanten Versorgungsmöglichkeiten im Ambulant Stationären Zentrum Templin  
  • Teilprojekt 3: Koordinierungs- und Beratungszentrum Templin
  • Teilprojekt 4: Sektorenübergreifende Behandlungspfade
  • Teilprojekt 5: Informations- und Kommunikationstechnologie

Positives Fazit

„Eine der großen Aufgaben war es, einen Teil der ärztlichen Versorgung ambulant zu organisieren, im Krankenhaus Templin Betten abzubauen und eine stärkere Zusammenarbeit von niedergelassenen Ärzten und Krankenhaus zu erreichen“, sagt Lutz O. Freiberg.

Fünf Jahre nach dem Beginn und ein Jahr nach Projektabschluss ist das Fazit größtenteils positiv. „Das meiste wurde erreicht“, sagt Freiberg. „Lediglich mit der IT sind wir nicht so vorangekommen, wie wir wollten.“ Auch AOK-Nordost-Vorständin Daniela Teichert ist zufrieden. Die Zahl der Krankenhausfälle sei um etwa 14,4 Prozent zurückgegangen – bei der Kontrollgruppe habe der Rückgang gerade mal bei 7,2 Prozent gelegen. „Weniger Krankenhausaufenthalte bedeuten weniger Strapazen und eine höhere Lebensqualität für die Patienten. Sie bedeuten auch weniger Belastung für die angespannte Personalsituation in Krankenhäusern. Und letztlich zählen die stationären Behandlungen nach wie vor zu den kostenintensivsten. StimMT ist für uns der Beweis: Stationäre Behandlungen ließen sich in vielen Fällen vermeiden, wenn die ambulanten Strukturen vor Ort entsprechend gut aufgestellt und unter den Beteiligten gut abgestimmt sind“, sagt Teichert.

Sie zieht drei Schlüsse aus dem Projekt: „Wir konnten in der Region Templin zeigen, dass die Veränderung von bestehenden Strukturen grundsätzlich möglich ist. Nur durch eine solche Strukturmigration können wir in Zukunft auch in infrastrukturell schwachen Regionen eine gute wohnortnahe und gleichzeitig wirtschaftliche Versorgung aufrechterhalten. Darüber hinaus stellte sich in der Praxis heraus, dass die aktuell geltenden Regelungen uns bei neuen Lösungsansätzen einschränken. Abschließend lässt sich dennoch sagen: Wenn es die Akteure aus dem Gesundheitswesen in der jeweiligen Region wirklich wollen, dann sind Veränderungen auch möglich.“ Die AOK Nordost hatte ab September 2019 gemeinsam mit der SANA und Herrn Freiberg die Gesamtprojektleitung verstärkt und auch einen Großteil der Daten zur Verfügung gestellt, die für das Projekt evaluiert wurden. Zudem werden zukünftig digitale Lösungen wie beispielsweise die elektronische Patientenakte, Videosprechstunde und Telemedizin eine immer wichtigere Rolle bei der Transformation der regionalen Gesundheitsversorgung spielen.

Unterstützung von vielen Akteuren

Bei IGiB-StimMT ist die Transformation mit einem ganzen Strauß von Maßnahmen gelungen – und mit der Unterstützung vieler Akteure aus dem Gesundheitswesen. „Wir hatten sowohl Vertragsärzte als auch das Krankenhaus, den Verband der gesetzlichen Krankenkassen und die Kommune mit im Boot“, sagt Freiberg. „Eine der wesentlichsten Erkenntnisse war, dass keiner die Veränderung alleine bewegen kann.“ Denn die Idee der Projektpartner war dabei nicht nur, das Krankenhaus in ein Ambulant-Stationäres-Zentrum (ASZ) umzustrukturieren, sondern die Versorgung auch da anzubieten, wo es die Infrastruktur schon gibt – beispielsweise können Patienten ihre Schwimmstunden statt in einem eigenen Zentrum in einem kommunalen, örtlichen Schwimmbad absolvieren. Seit Juli 2021 gehört Templin außerdem zu den Standorten des mobilen MRT des Projektes HerzCheck, das vor allem Untersuchungen zur Herzinsuffizienz in schlecht versorgten Regionen ermöglichen will.

Ärztliche Bereitschaftspraxis wurde eingerichtet

Im Zuge des Projekts wurde neben dem ASZ auch eine ärztliche Bereitschaftspraxis, das regionale Arztnetzwerk „Gesund in Templin“, eine Decision Unit sowie ein Koordinierungs- und Beratungszentrum aufgebaut. Außerdem wurden sektorübergreifende Behandlungspfade für Herzinsuffizienz, Rückenschmerz und Adipositas sowie eine strukturierte Harninkontinenzversorgung errichtet und etwa Ressourcen aus dem stationären in den ambulanten Bereich umgeschichtet.

Bundesweiter Modellcharakter bestätigt

Dass das Projekt bundesweit Modellcharakter hat, ahnte Freiberg schon länger, seit Kurzem hat er es auch amtlich bestätigt: Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) hat Anfang April zu IGiB-StimMT einen positiven Beschluss gefasst und die Überführung in die Regelversorgung empfohlen. Zusammen mit dem Beschluss wurden alle zentralen Akteure des deutschen Gesundheitswesens aufgefordert zu prüfen, inwieweit die in Templin entwickelten Ansätze zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in ländlichen, strukturschwachen Regionen genutzt werden können. Für Freiberg und sein Team ist das eine Bestätigung der Arbeit: „Wir sind sehr stolz auf das Erreichte, das Zentrum und das Arztnetz“, sagt er. „Das alles haben wir nun seit Ende des Projekts 2020 selbständig am Leben gehalten und nun endlich die Bestätigung bekommen, dass es mit dieser Art der Versorgung weitergehen kann.“

 

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