Aktuelles Interview: Christian Dierks, CEO und Gründer von Dierks+Company

Prof. Dr. med. Dr. iur. Christian Dierks stellt sich den juristischen Herausforderungen an der Schnittstelle zwischen Medizin, Recht und Informationstechnologie. Er ist Fachanwalt für Sozialrecht und Medizinrecht, Facharzt für Allgemeinmedizin und lehrt Gesundheitssystemforschung an der Charité Berlin. Dierks+Company geht aus Dierks+Bohle hervor, einer in Deutschland führenden Kanzlei in Healthcare und Life Sciences. Die neue Einheit konzentriert sich auf die Beratung von Arzneimittel-, Diagnostika- und Medizinprodukteherstellern sowie auf Anbieter digitaler Gesundheitsdienstleistungen bei allen Themen rund um Entwicklung, Produkteinführung, Kostenerstattung und Vertrieb. Im Interview spricht Christian Dierks, unter anderem Mitglied im Rechtsausschuss des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), über die Bedeutung interdisziplinärer Arbeit und die Tücken der Zertifizierung.

Der digitale Wandel stellt das gesamte Gesundheitswesen vor enorme Herausforderungen. Damit verbunden sind vor allem auch rechtliche Aspekte wie Datenschutz und neue Regulierungsanforderungen bei der Zulassung von Medizinprodukten. Muss man da wie Sie Arzt und Jurist sein, um das Ganze noch überblicken und bewältigen zu können?

Es sind in der Tat schwierige Zeiten, denn mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und der Medizinprodukteverordnung (MDR) sind zwei riesige europäische Gesetzgebungswerke in engem zeitlichem Abstand über uns gekommen. Die damit verbundenen Änderungen sind tiefgreifend und gewaltig. Ich glaube nicht, dass man mehrere Berufe in sich vereinen muss, um der Sache Herr zu werden. Aber ich glaube auch nicht, dass man das alles in Gänze überblicken muss. Es ist ohne weiteres möglich, die einzelnen Aufgaben zu verteilen und zu delegieren. 

Haben Sie aus diesem Grund auch den HelixHub ins Leben gerufen?

Wir können die Aufgaben nicht mehr sequenziell angehen. Deswegen haben wir im HelixHub ein Team aus Anwälten, Betriebswirten, IT-Spezialisten und anderen Fachdisziplinen. Im August werden wir die Immobilie übernehmen. Sie liegt sehr zentral zwischen Charité und Bundesgesundheitsministerium. Wir werden innovativen Unternehmen im Bereich Healthcare und Life Sciences die Möglichkeit geben, dort mit uns zu kooperieren – sei es in Einzelbüros, im Open Workspace oder im großen Konferenzsaal. Der Netzwerkgedanke steht  im Vordergrund. Wir wollen einen ausgewogenen Mix herstellen, damit die Unternehmen konstruktiv zusammenarbeiten können und wir unnötig kompetitive Situationen vermeiden. 

MobileHealth – also telemedizinische Behandlungen via Smartphones – gilt als zukunftsträchtiger Markt in der Gesundheitswirtschaft. Die technischen Lösungen sind vorhanden. Allerdings scheitern viele Entwickler, vor allem junge Start-ups, an den großen Hürden der Medizinprodukteverordnung. Wie lässt sich dieses Dilemma lösen?

Es gibt auch viele Unternehmen, die diese Hürden nehmen und eine Zertifizierung erfolgreich durchlaufen. Die Anforderungen sind durchaus zu meistern, wenn man von Anfang an die Planung des Studiendesigns und der Dokumentation ernst nimmt. Dazu braucht man auch die richtige Expertise und ausreichend Geld. Der Nutzennachweis für die Krankenversicherung muss vorliegen. Das ist etwas anderes als die Wirksamkeit. Am Ende des Tages wollen wir die Produkte auch verkaufen. Wegen der neuen Klassifizierungsregeln muss ab 2020 sehr viel Software von einer benannten Stelle zertifiziert werden, die heute noch auf dem Weg der Selbstzertifizierung in Verkehr gebracht werden kann. Die Koordinierungsgruppe sollte auf europäischer Ebene das Regelwerk auf den Prüfstand stellen. Wünschenswert wäre ein Modell, in dem die Anbieter zertifiziert werden und nicht jedes einzelne Produkt. Die FDA hat hierzu das sogenannte Software Precertification (Pre-Cert) Pilot Program entwickelt – das könnte es entbehrlich machen, dass jede einzelne App einen Zertifizierungsprozess durchlaufen muss und jede Änderung der App auch wieder zu einer Re-Zertifizierung führt. Vielleicht können wir von dort Impulse mitnehmen und es auch in der EU einfacher machen, um die innovativen und sehr sinnvollen mobilen Anwendungen nicht in der Bürokratie zu blockieren. 

Bei der BIONNALE am 20. Juni in Berlin sind Sie als Experte in einem Slot vertreten zum Thema „MDR and IVDR – The countdown has started“.  Was sind die wichtigsten Schritte mit dem Start der neuen Verordnungen für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika?

Die Herausforderungen liegen vor allem in der neuen Klassifizierung. Durch die tendenziell höhere Risikoklasse werden die Zertifizierungsstellen sehr viel häufiger gebraucht werden. Das wird zu einem Engpass führen. Als erstes sollten die Unternehmen daher prüfen, in welche Klassifikationen ihre Produkte fallen und dann alle weiteren Prozesse darauf abstimmen: die Vorbereitung der Entwicklung und der klinischen Prüfung etwa. Zudem empfehlen wir, möglichst früh mit den benannten Stellen in Verhandlung zu treten und Vereinbarungen zu treffen, damit es aufgrund der hohen Auslastung nicht zu Wartezeiten kommt. Und nicht zuletzt ist es strategisch wichtig, sich die Übergangsfristen anzuschauen und die Frage zu klären, zu welcher Zeit nach welchem Recht eine Zertifizierung beantragt werden sollte.