"Warum haben gestresste Mütter häufiger übergewichtige Kinder?"

Interviewpartnerin: Professor Irina Lehmann

Herzlich willkommen zum Podcast "Aus Forschung wird Gesundheit" aus dem Berlin Institute of Health, dem BIH. Wir wollen in diesem Podcast Fragen beantworten rund um das Thema Gesundheit und Gesundheitsforschung. Mein Name ist Stefanie Seltmann, ich bin die Pressesprecherin des BIH.

Heute bin ich zu Gast in der Arbeitsgruppe Molekulare Epidemiologie des BIH und der Charité und ich möchte wissen, warum gestresste Mütter häufiger übergewichtige Kinder haben. Beantworten kann mir diese Frage die Leiterin der Arbeitsgruppe Irina Lehmann, BIH Professorin für Umweltepigenetik und Lungenforschung. Sie hat viele Mütter-Kind-Paare untersucht und ist dabei genau auf diesen Zusammenhang gestoßen.

Frau Lehmann, was genau haben Sie herausgefunden?

Lehmann: Wir haben unsere Untersuchung in einer Kohortenstudie gemacht, in der LINA-Kohorte, das ist eine Studie, die vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig ins Leben gerufen worden ist. Und in dieser Studie wurden die Mütter schon während der Schwangerschaft rekrutiert, haben viele Fragen beantwortet, unter anderem eben zu ihrer mentalen Gesundheit, ob sie gestresst sind, sich sehr belastet fühlen. Und dann haben wir die Kinder von der Geburt an verfolgt und haben uns angeschaut, welche Erkrankungen auftreten im Zusammenhang mit Belastung der Mütter, und haben zum Beispiel beobachten können, dass, wenn die Mütter gestresst waren während der Schwangerschaft und noch mehr kurz nach der Geburt des Kindes, dass dann die Kinder übergewichtiger wurden.

Was bedeutet denn Stress? Heißt das schlecht schlafen wegen Babygeschrei in der Nacht, Doppelbelastung Beruf und Familie?

Lehmann: Ja, also den Stress, den wir uns angeschaut haben in dieser LINA-Kohorte, das ist sogenannter mentaler Stress. Da geht es um "sich überlastet fühlen", den Anforderungen nicht gewachsen zu sein, die im täglichen Alltag auf einen zukommen, Verlust von Freude und von positiven Emotionen. Was wir aber auch gesehen haben: dass Mütter, die in diese Stresskategorie hineinfielen, dass die in einem ganz besonderen sozialen Umfeld leben. Das sind Familien, die häufig ein geringes Haushaltseinkommen haben, die häufig viele Kinder haben, die in sehr schwierigen Wohngegenden leben, die sehr laut sind, häufig verschmutzt sind, und sich dort auch nicht wohlfühlen. Sodass sicherlich dieses persönliche Sich-gestresst-Fühlen, Sich-überlastet-Fühlen auch sehr stark im Zusammenhang steht mit der sozialen Situation dieser Familien.

Wie kann man sich das denn jetzt erklären? Wie schlägt sich der Stress der Mutter auf das Gewicht der Kinder nieder?

Lehmann: Um das zur untersuchen, haben wir ganz umfangreiche epigenetische Analysen gemacht und haben zeigen können, dass, wenn Mütter gestresst sind, dass sich dann schon im Mutterleib diese Stresssignale übertragen auf das sich entwickelnde Kind und schon bei einem eigentlich gesunden Kind, bei einem Neugeborenen die ganze Stressregulation völlig verändert ist. Und was wir auch gesehen haben: dass auch wichtige Signalwege, die im Zusammenhang stehen mit Stoffwechsel, mit Lungenreifung, dass die ebenfalls verändert sind, epigenetisch modifiziert sind und dazu führen, dass langfristig verschiedene Erkrankungsrisiken sich ausprägen können.

Man könnte man sich ja vorstellen, dass vielleicht eine gestresste Mutter auch weniger auf die Ernährung achtet, dass sie vielleicht schneller mal dem Kind, wenn es quengelt, ein Stück Schokolade gibt, als einen Apfel schneidet. Hat man denn auch Zusammenhänge in diese Richtung untersucht oder gefunden?

Lehmann: Das ist genau das, was vermutet wird und immer wieder diskutiert wird, was aber gar nicht einfach nachzuweisen ist und im Rahmen der LINA-Studie von uns auch nicht nachvollzogen werden konnte, weil wir natürlich diese kleinen Veränderungen im Fütterungsverhalten, sagt man, mit dem Studiendesign, was die LINA-Studie hatte, die ja eigentlich ausgelegt war auf Umweltbelastung und die Entstehung von allergischen Erkrankungen, leider nicht nachvollziehen konnten. Aber ganz klar, das ist eine der wesentlichen Theorien, die dort im Hintergrund steht.

Was kann man denn tun? Was könnte man denn jetzt aus dieser Erkenntnis, welche Schlüsse könnte man da ziehen? Wie kann man den Müttern helfen?

Lehmann: Auch das ist eine gute und auch sehr wichtige Frage. Was unsere Studie und auch viele vorangegangenen Studien herausgefunden haben: dass eben dieser mentale Stress oder psychosoziale Stress sehr stark im Zusammenhang steht mit eben den sozialen Lebensverhältnissen und dass insbesondere sozial benachteiligte Familien unter diesem psychosozialen Druck stehen. Und da kann man schon ansetzen und eingreifen und kann versuchen, genau diese Familien besonders zu unterstützen und denen Hilfemöglichkeiten anbieten, um sie zu entlasten und die Situation gerade für die sozial benachteiligten Familien zu verbessern.

Jetzt haben Sie mehrfach diese LINA-Studie erwähnt. Können Sie die noch ein bisschen genauer charakterisieren, wie viele Mütter-Kind-Paare werden da untersucht, was ist der eigentliche Hintergrund dieser großen Studie?

Lehmann: Die LINA-Studie war ursprünglich dafür designt, den Einfluss von Umwelt- und Lebensbedingungen insbesondere während der Schwangerschaft auf Erkrankungsrisiken des Kindes zu analysieren. Deshalb wurden in dieser Studie die Mütter auch schon während der Schwangerschaft rekrutiert zwischen 2006 und 2008. Insgesamt 629 Mutter-Kind-Paare sind für diese Studie rekrutiert worden. Und einmal im Jahr um den Geburtstag des Kindes herum sind dann Mutter und Kind in die Sprechstunde eingeladen worden. Beim Kind sind verschiedene Untersuchungen gemacht worden und auch Bioproben, also Urin und Blut entnommen worden von Mutter und von Kind. Sodass in dieser Studie die einmalige Möglichkeit besteht, auch zu vergleichen, wie bestimmte Einflussfaktoren auf den Erwachsenen, also auf die Mutter in dem Zusammenhang, und auf das Kind wirken. Und was unter anderem die Studie mit vielen verschiedenen Fragestellungen zeigen konnte, ist, dass Belastungen, die für uns Erwachsene überhaupt keine Rolle spielen, die also auch auf das Immunsystem und auf Entzündung keinen Einfluss haben, dass die bei kleinen Kindern aber ganz gravierende Effekte hervorrufen. Ein einfaches Beispiel: das Rauchen. Also die selbst rauchende Mutter hat sehr viel weniger Veränderungen in ihrem Immunsystem zum Beispiel als das Neugeborene oder Kleinkind, was sich in der Wohnung der Eltern aufhält und was über diese Rauchbelastung sehr viel stärker beeinträchtigt wird als die rauchenden Eltern selber.

Sie haben auch untersucht, welchen Einfluss bestimmte Chemikalien in der Schwangerschaft angewendet auf das ungeborene oder neugeborene Kind haben?

Lehmann: Ja, bei Chemikalienbelastung haben wir noch im Rahmen unserer Studien, die wir am Helmholtz-Zentrum in Leipzig durchgeführt haben, immer wieder gesehen, dass insbesondere während der Schwangerschaft Chemikalienbelastungen eine ganz massive Rolle spielen und zu massiven Gesundheitsbeeinträchtigungen des Kindes führen können. Wir haben gezeigt, dass bestimmte Weichmacher, sogenannte Phthalate, wenn die Mütter während der Schwangerschaft mit diesen belastet sind, dazu führen, dass die Lungenreifung während der Schwangerschaft beeinflusst wird und die Kinder häufiger Asthma bekommen. Wir haben zeigen können, dass andere Weichmacher, Bisphenol A, im Zusammenhang mit der Entstehung von Übergewicht zu bringen sind. Also wenn die Mütter Bisphenol A belastet sind, dann werden die Kinder schwerer. Und wir sind dabei, uns im Moment ganz intensiv auch mit Chemikalien zu beschäftigen, die nicht nur Asthma, Neurodermitis hervorrufen, sondern sich auch mit Verhaltensauffälligkeiten beim Kind in Verbindung bringen lassen.

Wie lange läuft diese Studie schon? Wie lange soll sie noch laufen?

Lehmann: Also begonnen hat die Studie 2006, also zwischen 2006 und 2008 sind die Mütter rekrutiert worden für diese Studie. Die LINA-Kinder sind inzwischen zehn. Und geplant war ursprünglich, dass sie die Kinder über die gesamte Lebensphase verfolgt und beobachtet, das heißt, bis sie 18 sind. Jetzt hängt es von unseren Kollegen am Helmholtz-Zentrum in Leipzig ab, ob sie dranbleiben an der Studie und tatsächlich weiter in dieser Studie forschen. Ich gehe davon aus, dass sie das tun werden, weil die natürlich unsagbar tolle Ergebnisse liefert und sehr, sehr viele Möglichkeiten für ganz neue Erkenntnisse bietet.

Aus Ihren bisherigen gewonnenen Erkenntnissen, haben Sie Ratschläge für schwangere Mütter?

Lehmann: Also der erste und wichtigste Ratschlag ist natürlich, dass man jegliche Form von Belastung aus seinem eigenen Lebensumfeld vermeiden oder minimieren sollte. Das beginnt mit solchen Dingen wie Rauchen und Alkohol. Selbstverständlich, das weiß jeder. Trotzdem rauchen immer noch zehn Prozent der werdenden Mütter. Das geht weiter mit bestimmten Belastungen, die man im häuslichen Umfeld hat. Also was die wenigsten wissen, ist, dass wenn wir renovieren, also malern, neue Teppiche, neue Möbel, dass all das, was so riecht wie neu, dass das Chemikalien sind, sogenannte flüchtige organische Verbindungen, die eine ganze Reihe von Gesundheitseffekten induzieren können und für die wir immer wieder zeigen konnten in verschiedenen Studienepochen, dass diese gerade auch während der Schwangerschaft schwierig sind – nicht für die Mütter selber, also die Schwangeren sind völlig gesund und unbeeinflusst, aber dass sie bei den Kindern zu verschiedenen erhöhten Krankheitsrisiken beitragen, unter anderem eben für Neurodermitis, also das Atopische Hautekzem. Man kann in allen persönlichen Pflegeprodukten inzwischen sehr genau nachschauen und sich informieren, dass man möglichst wenig Chemikalienbelastung selber hat. Und es geht weiter im ganzen Bereich Ernährung: Plastikprodukte, in denen man seine Nahrungsmittel lagert, führen dazu, dass man Weichmacher zum Beispiel in die Nahrungsmittel hineinbringt, was also auch mit Gesundheitsrisiken einhergehen kann. Also man kann schon selber als Verbraucher, sage ich mal, sehr viel und sehr bewusst darauf achten, Belastungen zu vermeiden.

Wie geht es weiter? Was erforschen Sie als Nächstes? Was wollen Sie noch herausfinden?

Lehmann: Also die eine Seite ist für uns, dass wir versuchen wollen, mit unseren Studien Risikofaktoren zu identifizieren, die insbesondere für Kinder kritisch sind, und versuchen wollen, diese natürlich zurückzudrängen, um Krankheitsrisiken auch vermeiden zu können. Und die zweite Geschichte ist, dass wir heute wissen, dass die meisten Zivilisationserkrankungen, und das sind Stoffwechselerkrankungen, die zu Diabetes und Übergewicht führen, genauso wie Herzkreislauferkrankungen und Lungenerkrankungen, dass viele dieser Erkrankungen eine Wurzel ganz früh im Leben haben, wenn nicht schon in der pränatalen Phase, also vor der Geburt. Und je mehr wir verstehen, welche Faktoren dazu beitragen, dass in unserem Körper Schalter umgelegt werden, die uns prädisponieren, also die unser Risiko erhöhen, in die eine oder andere Richtung von Erkrankungen zu gehen, umso mehr werden wir in der Lage sein, dort tatsächlich auch diejenigen zu identifizieren, die ein erhöhtes Risiko haben für eine bestimmte Erkrankung, und möglichst frühzeitig auch therapeutisch einzugreifen, um quasi die Progression in bestimmte Erkrankungen verhindern zu können.

Jetzt ist natürlich diese ganze Studie auf das Paar Mutter und Kind ausgerichtet. Die Mutter spielt ja auch wahrscheinlich eine sehr wichtige Rolle in der Schwangerschaft natürlich. Aber sind denn die Väter ganz außen vor? Kann man nicht auch mal eine vielleicht Väter-Kinder-Studie aufsetzen? Sonst heißt es ja doch wieder nur: Die Kinder sind zu dick, die Mütter sind schuld.

Lehmann: Das ist richtig. Die Väter sind überhaupt nicht außen vor. Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die zeigen, dass auch über die Väter Krankheitsrisiken auf Kinder übertragen werden können. Das kann genauso Stress auf der väterlichen Seite sein. Das ist das Rauchen und, und, und. Also die Väter spielen natürlich die gleiche Rolle wie die Mütter. Vielleicht nicht ganz die gleiche Rolle, weil diese Situationen des Fetus im Uterus und das gesamte Umfeld, was der Fetus im mütterlichen Organismus während der Schwangerschaft hat, ist noch mal ein besonderes und kann noch mal ganz besonders zu Prägung beitragen. Aber es ist gar nicht so einfach, tatsächlich Väter und Mütter gemeinsam mit ihren Kindern in so eine Studie hineinzubekommen und dann auch beide Elternteile langfristig mit zu verfolgen. Wir würden natürlich in Berlin gerne so eine Studie aufsetzen und auch noch mal intensiver in diese Richtung schauen.

Dann wünschen wir mal viel Erfolg.

Lehmann: Danke schön.

Das war der BIH-Podcast "Aus Forschung wird Gesundheit" aus dem Berlin Institut of Health. BIH Professorin Irina Lehmann antwortete auf die Frage: Warum haben gestresste Mütter häufiger übergewichtige Kinder? Falls Sie auch eine Frage zur Gesundheit oder zur Gesundheitsforschung haben, schicken Sie sie gerne an info@bihealth.de. Tschüss und bis zum nächsten Mal sagt Stefanie Seltmann.