Neue Erkenntnisse zur Bildung der Darmwand

Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Centers haben ein neues 3D-Zellmodell entwickelt, mit dem sie die Selbstorganisation der Darmzellen nachvollziehen können. Hier beantworten sie Fragen zu ihren Forschungsergebnissen.

 

Welche wissenschaftliche Fragestellung liegt Ihrer Studie zugrunde?

 

Gewebe bestehen aus unterschiedlichen Zellen, die sich auf eine charakteristische Art und Weise organisieren und so die Struktur und Funktion des Gewebes bestimmen. Unklar ist bisher, wie die Zellen miteinander kommunizieren, um ihre Position und Funktion zu finden. Dies haben wir am Beispiel des Darms untersucht. Die Einstülpungen des Darms (Krypten) bestehen aus sogenannten Epithelzellen. Diese wiederum beinhalten verschiedene Zellen, die für die Nahrungsaufnahme und den Schutz vor Bakterien verantwortlich sind. Um die Krypten herum finden sich Stützzellen (Stroma). Wir wollten ein Zellmodell entwickeln, das die Interaktion der Krypten mit den Stützzellen im Labor nachbilden kann.

Wie sind Sie vorgegangen?

Wir haben zunächst einzelne Stammzellen dazu gebracht, sich in der Kulturschale zu kleinen Klümpchen – sogenannten Mini-Organoiden – zusammenzuheften. Dafür haben wir verschiedene Wachstumsfaktoren hinzugefügt. Sie bringen die Stammzellen dazu, sich zu teilen. In der Tat bestehen die Organoide dann auch vor allem aus sich teilenden Stammzellen. Einzelne Organoide injizierten wir dann in dreidimensionale Gebilde, die wir aus einem Gemisch von Stützzellen und Bindegewebsmatrix hergestellt hatten.

Was haben Sie herausgefunden?

Tatsächlich sind mit unserer Methode echte Krypten entstanden, die wie die Einstülpungen im lebenden Darm aussahen und organisiert waren. Zum Beispiel waren Stammzellen nur in der Basis der Krypten und sogenannte Kolonozyten an der Oberfläche zu sehen. Auch die Stützzellen haben sich genau so organisiert, wie sie es im Organ selbst tun. Wir haben festgestellt, dass die Stützzellen für die unterschiedlichen Zelltypen, die sie umgeben, spezifisch die jeweils notwendigen Faktoren produzieren. Somit konnten wir auf die Zugabe von zusätzlichen Wachstumsfaktoren verzichten: Die Stützzellen haben alles von sich aus übernommen.

Was hat Sie überrascht?

Wir waren überrascht über die beeindruckende Fähigkeit zur Selbstorganisation. Wir haben diese genauer untersucht und fanden heraus, dass die Epithelzellen mit den Stützzellen „sprechen“. Dabei ist das kleine Protein BMP2 ein entscheidendes Signalmolekül. Blockierten wir den BMP2-Signalweg –  entweder in den Epithelzellen oder nur den Stützzellen, bildeten sich keine korrekten Krypten aus und auch die Stützzellen organisierten sich nicht.

Welches Fazit können Sie ziehen?

Zum einen haben wir nun ein Zellmodell, das den Darm sehr gut nachbildet. Wir können es nutzen, um die Einwicklung des Gewebes zu verstehen, aber auch um nachzuvollziehen, ob Störungen in der Kommunikation zwischen Epithel und Stroma zur Krankheitsentstehung im Darm beitragen. Zum anderen kennen wir nun einen grundlegenden Mechanismus, der für die Selbstorganisation eines Gewebes verantwortlich ist und die Darm-Anatomie erklärt. Das könnte künftig für neue Therapien relevant werden. Beispielsweise ist bekannt, dass Störungen im BMP-Signalweg mit Darmkrebs assoziiert sein können.