Interview | Eckhard Nagel Vorstand (Vorsitz) Krankenversorgung Medizinische Universität Lausitz – Carl Thiem

Die Medizinische Universität Lausitz – Carl Thiem bringt neue Kraft in die Region

Seit Mitte des vergangenen Jahres ist aus dem Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum die Medizinische Universität Lausitz – Carl Thiem (MUL) geworden. Damit gehen große Ambitionen einher, denn die neue Universität soll nicht nur insgesamt die wirtschaftliche Situation vor Ort stärken, sondern auch die medizinische Versorgung in der gesamten Region künftig auf sichere Beine stellen. Dafür sollen in den kommenden Jahren viele Mittel aus dem Strukturfonds zum Kohleausstieg investiert werden. Auch für den Cluster Gesundheitswirtschaft ist das ein herausragendes Projekt in den nächsten Jahren. Wir haben mit Professor Eckhard Nagel, Vorstand (Vorsitz) Krankenversorgung an der MUL über die Pläne zur Realisierung dieser Vorhaben sowie erst Erfolge gesprochen.

 

Die Gründung der Medizinischen Universität Lausitz (MUL) bietet eine einzigartige Chance für die Region. Wie sieht die Medizinische Universität Lausitz die Zukunft der Gesundheitsversorgung in der Region, welchen Beitrag wird die neue Universitätsmedizin dabei leisten und welche Innovationspotenziale sehen Sie in der Verbindung von Wissenschaft, Wirtschaft und praktischer Versorgung hierbei?

Eine medizinische Universität in der Lausitz zu etablieren und wesentliche Mittel aus dem Strukturfonds zum Ausstieg aus der Braunkohle darin zu investieren, verfolgt neben der Intention die Region an sich zu stärken, auch den Ansatz den Lebensstandard in Hinblick auf die medizinische Versorgung zu sichern und zu verbessern. Die aktuelle Situation ist die, dass 35 Prozent der derzeitigen medizinischen Leistungserbringer hier über 60 Jahre und in etwa 50 Prozent über 55 Jahre alt sind. Wir blicken also auf eine Personaldecke, die immer dünner wird. Es ist also höchste Zeit gegenzusteuern und die MUL ist dafür das richtige Instrument. Wir heißen auch nicht Medizinische Universität Cottbus, sondern Medizinische Universität Lausitz, weil wir nicht nur die Bildung der neuen Universität als Auftrag haben, sondern eine Zuständigkeit für die Entwicklung der Gesundheitsversorgung in der gesamten Region. Die Etablierung einer „Modellregion Gesundheit Lausitz“ ist in unseren Auftrag integriert, deshalb werden wir ein Forschungs-, Lehr- und Versorgungsnetzwerk etablieren, das sich über die gesamte Lausitz erstreckt. Ich bin davon überzeugt, dass wir damit Erfolg haben werden. Denn wir sind zwar erst im vergangenen Jahr gestartet, aber bereits jetzt kann ich feststellen, dass wir hochqualifizierte Bewerberinnen und Bewerber haben, die in die Region kommen wollen und hier in der Medizin wie auch im Pflegerischem ihre Perspektive sehen.

 

Die Zusammenarbeit zwischen Universität, Forschungseinrichtungen und der industriellen Gesundheitswirtschaft ist für die Erforschung und Entwicklung neuer, innovativer Diagnostik und Therapien entscheidend. Wie gestalten Sie die Partnerschaften mit Unternehmen und Institutionen aus der Gesundheitsbranche, und welche Synergien erwarten Sie daraus?

Das Carl-Thiem-Klinikum hat bereits eine sehr ordentliche und qualifizierte Maximalversorgung in der Medizin angeboten hat. Drum herum haben wir die Probleme, die für ländliche Regionen mittlerweile nahezu typisch sind: Medizinische Einrichtungen können aufgrund von Personalmangel, Investitionsstau und anderen Faktoren nicht mehr adäquat mithalten. Dementsprechend besteht bei der Industrie auch ein geringes Interesse an den Standorten, da Investitionen fehlen. Mit der Schwerpunktsetzung der MUL-CT beispielsweise im Bereich der Digitalisierung in der Medizin, gibt es jetzt eine hohe Aufmerksamkeit aus dem Bereich der industriellen Entwicklung, aber auch aus anderen medizintechnischen Branchen. Denn jetzt ist klar, dass hier etwas passiert und im Rahmen der Versorgung neue Dinge probiert werden, was zum Beispiel die Möglichkeit gibt, hier neue Lösungen und Produkte zu testen und zu evaluieren. Deshalb befinden wir uns bereits in einem intensiven Austausch mit vielen interessierten Firmen. Hinzu kommen bereits geschlossene Partnerschaften im Bereich der Digitalisierung und der Diagnostik etwa mit Siemens Healthineers oder mit T-Systems. Obwohl wir noch nicht lange dabei sind, haben wir schon jetzt eine große Bandbreite an industriellen und strukturellen Kooperationen.

 

Welche Forschungsschwerpunkte oder Initiativen plant die Universität, um die Gesundheitswirtschaft in der Lausitz zu fördern, etwa in den Bereichen digitale Gesundheit, Medizintechnik oder Präventivmedizin?

Wir haben zwei wesentliche Forschungsschwerpunkte, für die es auch eine spezifische Ausstattung mit zwei Forschungsprofil-Professuren gibt. Zum einen im Bereich der Digitalisierung im Gesundheitswesen und zum anderen in der Versorgungsforschung. Letztere beschäftigt sich damit, wie Modelle entwickelt werden können, um die medizinische Versorgung der Zukunft zu charakterisieren. Dabei liegt unser Fokus auf einem salutogenetischen Gesundheits- und Krankheitsbegriff, d.h. wir verstehen Gesundheit nicht primär als etwas, das man erst in Augenschein nimmt, wenn eine Krankheit entsteht, sondern als etwas primär Erhaltenswertes. Daher werden wir verstärkt auf Prävention und gesundheitliche Bildung setzen. Parallel dazu werden wir versuchen, neue Versorgungsformen regional anzusiedeln und die bestehenden im Wandel zu begleiten. Eine Rolle wird ebenfalls spielen, medizinische Kompetenzen durch moderne Kommunikationsmöglichkeiten weiter in die Fläche zu bringen. Wir wollen die Universitätsmedizin zu den Menschen bringen und nicht alle Menschen ins Zentrum der Universitätsmedizin holen. Das umfasst ein weites Spektrum von der Diagnostik vor Ort bis dahin, wie sich Prothesen so entwickeln lassen, das Menschen lokal versorgt werden können.

 

Wie kann die Universität konkret zur Stärkung der industriellen Gesundheitswirtschaft in der Lausitz beitragen und welche langfristigen wirtschaftlichen Effekte erwarten Sie? 

Es gibt viele Analysen aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands, die zeigen, dass ein Euro Investition in ein Universitätsklinikum circa drei Euro an Wertschöpfung realisiert. Geht man von einem Investitionsvolumen für die MUL bis 2038 von in etwa 3,5 bis 3,8 Milliarden Euro aus, lässt sich die mögliche Veränderung in der Region schon erahnen. In Hinblick auf Prosperität und Wertschöpfung, denke ich, dass die Lausitz 2035 wieder eine entscheidende Rolle im Osten Deutschlands spielt. Insgesamt blicken wir hier auf langfristige Prozesse, deren Erfolg nicht immer gleich spürbar sein wird. Deshalb wird es für uns zentral sein, die Menschen hier mitzunehmen und wo es möglich ist, auch zügig Fortschritte anzubieten. Dafür werden wir ab dem kommenden Herbst in die Landkreise gehen und mit den Menschen darüber sprechen, was für sie die dringendsten Fragen in puncto medizinische Versorgung und Standortsicherung sind.

 

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Zur Person:

Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel (Jahrgang 1960) hat von 1978 bis 1986 Medizin an der Medizinischen Hochschule Hannover sowie an der University of Vermont (USA) studiert. An der Medizinischen Hochschule in Hannover hat er ebenfalls seine Ausbildung zum Facharzt absolviert und war dort später Oberarzt für Abdominal- und Transplantationschirurgie. In seiner weiteren Laufbahn war er unter anderem Leiter des Transplantationszentrums und des Chirurgischen Zentrums sowie Chefarzt des Bereichs Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie des Klinikums Augsburg. Von 2010 bis 2015 war er Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen. Zwischen 2015 und 2021 war er Mitglied im Aufsichtsrat der Charité Universitätsmedizin Berlin und später Vorstand des Aufsichtsrats bei Vivantes. Als Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth ist er für die Aufgabe in Brandenburg beurlaubt.