Charité verstärkt Nutzung menschlicher Gewebe für die Forschung

Gewebe, das bei Operationen und anderen medizinischen Eingriffen im Krankenhaus anfällt, wird nur zum Teil für die Diagnostik gebraucht – der Rest wird für gewöhnlich entsorgt. Dabei wäre das Material für die biomedizinische Forschung besonders wertvoll. Die Charité – Universitätsmedizin Berlin baut jetzt eine sogenannte Primary Tissue Pipeline auf, die Forschenden den Zugang zu dem menschlichen Gewebe erleichtern soll. Ziel ist es, die Qualität der Forschung zu verbessern und die Forschung an humanen Modellen systematisch zu stärken. Gefördert wird das Projekt von der VolkswagenStiftung.

Bei zahlreichen medizinischen Eingriffen fällt lebendes menschliches Gewebe an, das bislang größtenteils wissenschaftlich ungenutzt entsorgt wird. „Diesen Schatz wollen wir heben“, sagt Prof. Joachim Spranger, Dekan der Charité. „Mit dem Aufbau der Pipeline möchten wir unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei unterstützen, lebendes menschliches Gewebe für Forschungszwecke zu nutzen. Ziel ist es, die Forschungsmöglichkeiten an der Charité weiter auszubauen und Krankheitsmodelle mit einer besseren Übertragbarkeit auf den Menschen zu entwickeln. Dies könnte langfristig auch den Bedarf an Tieren für die Forschung senken.“

Aus klinischem Abfall wird wissenschaftliches Gold

Die Verwendung lebender Gewebeproben wird in der biomedizinischen Forschung immer wichtiger, beispielsweise für die Entwicklung von Organmodellen aus menschlichen Stammzellen (Organoide) oder für die Analyse des Gewebes mittels moderner (Sequenzier-) Methoden. Diese Technologien können entscheidend zu einem besseren Verständnis von Krankheitsmechanismen beitragen oder dem Aufbau regenerativer Therapien dienen, wie beispielsweise Zelltherapien oder Gewebe- und Organersatz. Sie sind außerdem Grundlage für eine personalisierte Medizin.

„Humane Proben stellen einen unschätzbaren Wert für die Forschung und damit letztlich auch für das Patientenwohl dar“, betont Prof. Christian Conrad, Leiter der Arbeitsgruppe Intelligent Imaging am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH). Seine Forschung hängt essenziell vom Zugang zu menschlichem Primärgewebe ab. Er sagt: „Die Nutzung dieses oftmals verworfenen Biomaterials ist eine technisch-logistische und administrative Herausforderung.”

Unterstützung an der Schnittstelle zwischen Klinik und Forschung

Mit dem Ausbau der Primary Tissue Pipeline soll eine Plattform etabliert werden, die den Zugang zu lebenden Bioproben vereinfacht und absichert. Dabei werden die kritischen Schritte von der Projektplanung und der Kontaktaufnahme zur abgebenden Klinik, der Rekrutierung der Patient:innen, der Sicherung ethischer Standards, der Entgegennahme des Materials vor Ort bis zur Übergabe des Materials an die Forschungsgruppen unterstützt.

„Trotz der räumlichen Nähe von Krankenversorgung und Forschung an der Charité bestehen große Schwierigkeiten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zeitnah lebende Bioproben zur Verfügung zu stellen und diese mit den relevanten klinischen Daten zu verknüpfen“, erklärt die Initiatorin der Pipeline Dr. Karin Schmelz. „Im klinischen Alltag ist der Aufbau einer nachhaltigen Logistikkette schwer zu integrieren und Forschende sind oft nicht in die klinischen Abläufe eingebunden. Genau an dieser Schnittstelle bieten wir unsere Unterstützung an.”

VolkswagenStiftung unterstützt Charité 3R

Umgesetzt wird das Projekt durch Charité 3R, eine Einrichtung der Charité zur aktiven Unterstützung des 3R-Prinzips in der biomedizinischen Forschung. Zentrales Ziel von Charité 3R ist es, die Entwicklung von humanen Modellen zu fördern, um damit langfristig die Anzahl der Versuchstiere zu reduzieren und die Übertragbarkeit von Ergebnissen aus der biomedizinischen Forschung hin zu Therapien für den Menschen zu verbessern (Replace).
 
Die VolkswagenStiftung fördert die Primary Tissue Pipeline als „Pioniervorhaben“ mit rund 370.000 Euro für zwei Jahre. Mit diesem Angebot möchte die Stiftung zu wesentlichen, konkreten und praktischen Verbesserungen des deutschen Wissenschaftssystems beitragen, indem sie die Entwicklung neuartiger Denk- und Handlungsansätze in Governance, Administration, Forschung, Lehre oder Transfer unterstützt.

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