Arbeitswelt im Wandel: Die Great Exhaustion trifft Deutschland

- Flexibilität bei Arbeitszeit um 29 Prozentpunkte in 2 Jahren gesunken.
- Flexibilität bei Wahl des Arbeitsorts um 14 Prozentpunkte in 2 Jahren gesunken.
- Anstieg der Beschäftigten mit hoher emotionaler Belastung um 20 Prozentpunkte.
- Unverändert hoch: der häufigste Risikofaktor für Burnout ist Zeitdruck; in 60 Prozent der Unternehmen ist der Zeitdruck gesundheitsgefährdend.
- 14 Prozent der Beschäftigten sind bereits ausgebrannt.
- „Der emotionale Stress nimmt zu, gleichzeitig schränken Unternehmen die Flexibilität wieder ein. Wir rechnen mit weiterem Anstieg in Burnout und Fachkräftemangel“, Dr. Amelie Wiedemann.

 

Nach dem Great Quit nun die „Great Exhaustion“: Immer mehr deutsche Beschäftigte berichten eine geringe mentale Gesundheit: 2021 waren es noch 12 Prozent der Beschäftigten, 2023 sind es schon 18 Prozent. Doch nicht nur das: einer von sieben Beschäftigten ist ausgebrannt (14%; 2023). In manchen Branchen sind es sogar 20 Prozent und mehr (Gastgewerbe: 21%; Handel: 20%). Die Gründe für die sinkende Gesundheit der deutschen Beschäftigten liegen neben den ökonomischen, ökologischen und politischen Belastungen vor allem in den Veränderungen in den Arbeitsbedingungen. Am deutlichsten zeigt sich hier der Rückgang der Flexibilität und die steigende emotionale Belastung.

Das zeigt der „Workplace Insights Report 2024“ mit Daten von 46.548 Beschäftigten aus 416 Unternehmen, der im interaktiven Dashboard „Workplace Insights“  frei veröffentlicht wurde.

Back to before: Arbeit ist so inflexibel wie vor Covid-19 Pandemie

Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass es in vielen Berufen möglich ist, flexibel zu arbeiten. Nun fordern jedoch viele Unternehmen die Rückkehr der Beschäftigten ins Büro und schränken so die Flexibilität der Beschäftigten ein. Durch den Shutdown im Jahr 2020 sowie die Januar 2021 beschlossene „Homeoffice-Pflicht“ stieg die Flexibilität bei Arbeitsort und Arbeitszeiten bei allen Tätigkeiten, bei denen dies grundsätzlich möglich ist. So lag im Jahr 2021 lag der Anteil derjenigen, denen örtlich flexibles arbeiten verwehrt wurde, obwohl es möglich gewesen wäre bei nur 5% der Befragten und nur 11 Prozent konnten ihre Arbeitszeiten nicht anpassen.

Jetzt dreht sich der Trend wieder. Viele Unternehmen legen feste Bürotage und Arbeitszeiten fest: 2023 hatten 19 Prozent der Beschäftigten keine Flexibilität mehr bei der Wahl des Arbeitsortes. Das entspricht einem deutlichen Rückgang der örtlichen Flexibilität um 14 Prozentpunkte seit 2021. Noch deutlicher ist der Rückgang der Flexibilität bei der Arbeitszeit: Der Anteil derjenigen mit starren Arbeitszeiten ist seit 2021 um 20 Prozentpunkte auf 31 Prozent in 2023 gestiegen – so inflexibel waren die Arbeitszeiten seit der Pandemie noch nie. 2019, also vor der Pandemie, beklagten 33 Prozent mangelnde Flexibilität bei Arbeitsort und 26 Prozent der Beschäftigten bei der Arbeitszeit.

Der Zeitdruck ist schon zu hoch, jetzt steigt noch die emotionale Belastung

Fachkräftemangel, technische Entwicklung, Wettbewerbsdruck: die Gründe für die hohe Arbeitsintensität bei den Beschäftigten sind vielfach. So ist wenig verwunderlich, dass die hohe Arbeitsintensität 2023 der häufigste Risikofaktor für die mentale Gesundheit in Unternehmen ist. Die Zahlen zeigen: In 60 Prozent der Unternehmen arbeiten die Menschen unter einem Zeitdruck, der so hoch ist, dass er gesundheitsgefährdend ist. Im Ranking der häufigsten Risikofaktoren für die mentale Gesundheit liegt auf Platz 2 das unangemessene Verhalten von Dritten, also Personen außerhalb der eigenen Organisation wie Kunden oder Partnern mit einem Vorkommen in 42% der Unternehmen. Auf Platz 3 folgen emotional anspruchsvolle Arbeitsinhalte wie Krankheit, Beschwerden und Kündigungen mit einem Vorkommen in 35% der Unternehmen. Und genau diese Arbeitsbedingungen haben in den letzten 2 Jahren kräftig zugelegt. Fanden 2021 noch 34 Prozent der Beschäftigten das Verhalten der sogenannten Dritten unangemessen, so sind es 2023 ganze 51 Prozent. Das entspricht einem Anstieg um 17 Prozentpunkte innerhalb von 2 Jahren. Das ihre Arbeitsinhalte emotional fordernd sind, das fanden 2021 noch 30 Prozent der Beschäftigten. 2023 sind es ganze 49 Prozent. Das entspricht einem Anstieg um 19 Prozentpunkte innerhalb von 2 Jahren. Als Gründe nennen die Beschäftigten vor allem ärgerliche Themen, aber auch die steigenden Erwartungen der Menschen.

„Zum hohen Zeitdruck kommt jetzt noch die steigende emotionale Belastung hinzu. Unsere Zahlen zeigen sehr hohe Zusammenhänge zwischen der emotionalen Belastung und der mentalen Gesundheit. Der emotionale Stress nimmt zu, gleichzeitig schränken Unternehmen die Flexibilität wieder ein. Wir rechnen mit einem weiteren Anstieg in Burnout und Kündigungen. Was dagegen hilft: Möglichkeiten der Entlastung und Erholung zu schaffen. Die Work-Life-Balance ist und bleibt dabei der größte Einflussfaktor auf die mentale Gesundheit.“ 

– Dr. Amelie Wiedemann, Co-CEO von DearEmployee

Burnout-Gefahr: Bis zu 10 Prozentpunkte Unterschied zwischen Branchen

Übereinstimmend mit den häufigsten Risikofaktoren zeigt der Report: Der höchste Anteil an ausgebrannten Beschäftigten ist im Gastgewerbe (21%), gefolgt vom Handel (20%) und dem Gesundheits- und Sozialwesen (15%) und der Verwaltung (15%). In diesen Branchen ist der Kundenkontakt mit den genannten Faktoren „emotionale Arbeitsinhalte“ und „unangemessenes Verhalten von Dritten“ besonders hoch. Und es gilt das Prinzip „Service with a smile“, das heißt die Erwartung, dass die Beschäftigten permanent positive Gefühle im Kontakt mit Kunden, Patienten oder Bürgern zeigen müssen, auch wenn sie beschimpft werden. Diese fehlende Übereinstimmung zwischen wahren und gezeigten Gefühlen ist auf Platz 2 der stärksten Einflussfaktoren auf die mentale Gesundheit. Nur die Work-Life-Balance auf Platz 1 ist noch wichtiger. In Branchen mit weniger direktem Kundenkontakt liegt die Burnout-Gefahr deutlich geringer, z.B. bei 11% in der IT.

Aus der berichteten hohen Beanspruchung der Beschäftigten und den wachsenden Belastungen, vor allem im emotionalen Bereich, ergibt sich ein dringender Handlungsbedarf für die Unternehmen.

„Daten-Analysen zeigen für jedes Unternehmen ein individuelles Belastungsmuster. Genauso einzigartig muss auch das Maßnahmen-Angebot zur Förderung der mentalen Gesundheit eines Unternehmens sein: Denn One-size-fits-all passt keinem Unternehmen,“ so Dr. Amelie Wiedemann.