Vermeiden, Reduzieren, Verbessern – mehr Ethik bei Tierversuchen für die Medizin von Morgen

Interview mit: Prof. Jens Kurreck, TU Berlin und Co-Sprecher des Einstein Centers 3R Berlin

 

Jens Kurreck ist Professor für Angewandte Biochemie an der TU Berlin. Sein Arbeitsschwerpunkt ist der Biodruck von Organmodellen. Im Einstein Center 3R verantwortet er den Bereich Kommunikation. Das von der Einstein Stiftung geförderte Zentrum versucht, die 3-R-Prinzipien (Replace, Reduce, Refine) für Tierversuche in der biomedizinischen Forschung zu stärken. Replace steht dabei für den Ersatz von Tierversuchen durch Alternativmethoden, Reduce meint die Verringerung der Anzahl der Versuchstiere durch ein effektives Versuchsdesign und Refine bedeutet die Verbesserung der Bedingungen für Versuchstiere, wenn Tierversuche notwendig sind. Wir haben mit Professor Kurreck über die Arbeit des Zentrums und den Stand zur Forschung im Bereich 3R in Berlin gesprochen.

1. Welche Ziele verfolgt das Einstein Center 3R und was sind die Forschungsschwerpunkte? 


Das Zentrum bildet sich aus der Zusammenarbeit von Gruppen aus nahezu allen biomedizinischen Forschungsinstitutionen in Berlin. Wir haben drei große Themenfelder – zum einen die Kommunikation, bei der es darum geht, die emotionale Debatte um Tierversuche zu versachlichen. Ein zweiter Block ist die Ausbildung, d.h. wir wollen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern die 3R-Prinzipien näherbringen. Drittes Feld und Kern des Zentrums ist das Forschungsnetzwerk mit sechs Forschungs- und zwei Querschnittprojekten, die sich vollständig auf das Replace in den 3R konzentrieren. In den Projekten wird hauptsächlich an 3D-Organmodellen, 3D-Organoide und Vergleichbarem für alle menschlichen Organe gearbeitet. Die Ergebnisse stellen wir dann der Forschung anderer Gruppen zur Verfügung.

2. Wie gut werden nach Ihrer Einschätzung 3R-Techniken bereits in der klinischen Forschung umgesetzt?


Was die Modelle anbelangt sind wir noch sehr stark in der Entwicklungsphase. Dementsprechend werden die Modelle in der Forschung zwar immer häufiger, aber noch nicht überall verwendet. Bei Firmen kann ich dies nicht wirklich beurteilen, weil sie – was das anbelangt – nicht so transparent sind wie wissenschaftliche Institutionen. Allerdings ist es so, dass wir im Austausch mit Pharmafirmen merken, dass es ein großes Interesse gibt. Beispielsweise scheitern nahezu 90 Prozent aller Wirkstoffkandidaten, die präklinisch in Tierversuchen getestet wurden, später in den klinischen Studien. Häufig aufgrund unerwarteter Nebenwirkungen oder mangelnder Effizienz. Ursächlich dafür ist unter anderem, dass die Tierergebnisse nicht vollständig auf den Menschen übertragbar sind, deshalb ist bei den Pharmafirmen eine zunehmende Offenheit für die Modelle gegeben.

3. Wo sehen Sie die größten Hürden bei der Etablierung von 3R-Techniken im Forschungsalltag?   


Dazu muss man die 3-R´s in ihren Anforderungen unterscheiden. Bei besseren Bedingungen – also Refine – sind beispielsweise höhere Kosten eine Hürde, etwa in dem den Tieren mehr Platz zu gebilligt werden soll. Wichtigster Punkt bleibt jedoch ist der Ersatz – Replace. Hier ist noch eine Hürde, dass die Modelle immer noch in der Entwicklung sind und sich für manche Anliegen der Forschung noch nicht eignen, deshalb ist noch weitere Entwicklung nötig. Eine andere Hürde ist das Forschungsparadigma: Alles was im 2D-Zellmodell gut funktioniert, wird dann weiter im Tiermodell getestet – das ist momentan der sicherste Weg und damit der Standard. Um gerade diese Hürde abzubauen, muss die Forschung an Modellen künftig zeigen, dass auch hier human relevante physiologische Antworten geboten werden können, die vielleicht in manchen Belangen sogar besser sind als der Tierversuch.
 

4. Wie können sich interessierte Akteure bei Ihnen beteiligen? 

Wir haben zum einen die Projektförderung, in die wir beispielsweise im kommenden Jahr wahrscheinlich neue Projekte aufnehmen werden. Zum anderen kann man bei uns auch assoziiertes Mitglied werden, wenn man thematisch in seiner Arbeit zum Zentrum passt. Interessierte Firmen oder andere Organisationen können grundsätzlich einfach per Mail auf uns zukommen.

5. Wie gut ist die Hauptstadtregion im Bereich 3R aufgestellt? 

Ich würde sagen sehr gut. In Berlin werden zwar sehr viele Tierversuche gemacht, aber es gibt auch eine intensive Entwicklung zu Alternativmethoden. Schon deutlich länger als das Einstein-Zentrum 3R gibt es zum Beispiel an der Freien Universität die Graduiertenkolleg BB3R, auch die Charité hat ein internes Förderprogramm zu 3R und künftig soll im Forschungsgebäude „Der simulierte Mensch“ – einer Kooperation von Charité und TU Berlin – auch Tierversuchs freie und human relevante Forschung stattfinden. Diese Aufzählung ist nicht abschließend, aber insgesamt bietet sich für den Bereich 3R in Berlin ein großes Umfeld aus Forschenden, mit denen man zum Thema kooperieren kann.

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