Seelische Gesundheit im Fokus – macht das Stadtleben krank?

Ist die Seele eines Menschen nicht gesund, hat das Auswirkungen auf alle Ebenen seines gesellschaftlichen Lebens. Daher ist es wichtig, das Thema psychische Gesundheit in den Fokus der Wissenschaft zu rücken und auch die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren. In Berlin passiert das bereits: Das Interdisziplinäre Forum Neurourbanistik erhielt jüngst einen Innovationspreis für seine Forschung rund um den Einfluss von Stadtleben auf Psyche, Emotionen und Verhalten. Und auch die 12. Berliner Woche der seelischen Gesundheit dreht sich um die Frage: „Gestresste Gesellschaft – Was tun?“.

Welche Faktoren beeinflussen die Stressvulnerabilität, also die Empfindlichkeit für Stress? Warum haben Stadtbewohner ein höheres Risiko, eine Schizophrenie, Depression oder Angsterkrankung zu entwickeln? Und warum existiert dazu bisher so wenig Forschung, obwohl die Urbanisierung ein so viel diskutiertes Thema ist? Fragen wie diese brachten den Berliner Psychiater, Depressions- und Stressforscher PD Dr. Mazda Adli dazu, eine Forschungsgruppe mit Praktikern aus Architektur, Stadtplanung, Soziologie und Neurowissenschaften zusammenzustellen. Daraus entwickelte sich 2015 das Interdisziplinäre Forum Neurourbanistik. In diesem Kooperationsprojekt der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der Alfred Herrhausen Gesellschaft, der Technischen Universität Berlin und der Fliedner Klinik Berlin forschen Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen erstmalig gemeinsam zum Thema „Psychische Gesundheit in der Stadt“.

Als einen wesentlichen Risikofaktor benennen sie sozialen Stress. „Dieser Stresstyp entsteht dort, wo soziale Dichte und soziale Isolation aufeinandertreffen“, erklärt Projektleiter Adli. In Berlin seien davon zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund betroffen, die in einer armen Nachbarschaft leben. „Öffentliche Begegnungsräume, wo Menschen sich treffen und ein Gefühl von Zugehörigkeit entstehen kann, helfen dagegen. Dafür braucht es urbane Kultur und den Willen der Politik.“ Berlin mache mit seinen breiten Straßen, viel Grün und vielen öffentlichen Plätzen bereits einiges richtig.    

Wie können wir soziale Isolation minimieren?

Das Interdisziplinäre Forum Neurourbanistik gehört zu den im Juni 2018 gekürten Preisträgern des Innovationswettbewerbs „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“. Ganz im Sinne des Wettbewerbstitels „Welten verbinden – Zusammenhalt stärken“ erforschen die Experten, wie die soziale Isolation von Risikogruppen und die Fragmentierung urbaner Gesellschaften minimiert werden können. Ein drängendes Thema, denn bereits 2050 werden etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. 

Das Forum arbeitet an einer Public Mental Health Strategie für Städte. Neben der Identifikation von Risikogruppen müssen wissenschaftlich basierte Präventionsmaßnahmen entwickelt werden, um Städte zu schaffen, die die psychische Gesundheit ihrer Bewohner sicherstellen. Ab Herbst soll das Stresserleben von Stadtbewohnern mit Hilfe einer App genauer untersucht werden. Hier kooperiert das Forum mit den Gründern der App „Moodpath“. Eine daraus abgeleitete „Emotions-Stadtkarte“ soll vertiefende Analysen zum Stadtstress ermöglichen. 

Um auch Berlins Stadtbewohner zu beteiligen, werden „Neurourbanistik Salons“ ausgerichtet, in denen die Öffentlichkeit zu Diskussionen eingeladen ist. Am 9. Oktober wird der Soziologe Richard Sennett seine Gedanken zum Thema „Die offene Stadt“ vorstellen (siehe hier – eine Teilnahme ist nur nach vorheriger Anmeldung über die Alfred Herrhausen Gesellschaft möglich, da die Plätze limitiert sind). Langfristig soll eine „Charta der Neurourbanistik“ entstehen, die sowohl dem Einzelnen Möglichkeiten aufzeigt, sich für die gesunde Stadt zu engagieren, als auch Politik und Stadtplanung für die Zusammenhänge von Stadtleben und psychischer Gesundheit sensibilisiert. „Wir möchten jeden aufrufen, einen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt in der Stadt zu leisten und so selber zum ‚Stadtteil‘ zu werden“, sagt Adli.

Stigma rund um psychische Erkrankungen abbauen

Doch nicht nur das Interdisziplinäre Forum Neurourbanistik hat die Psyche im Blick. Zum einen wird der Welttag der Depression am 1. Oktober die Aufmerksamkeit darauf lenken. Zum anderen findet vom 10. bis 20. Oktober 2018, wie jedes Jahr rund um den Welttag der Seelischen Gesundheit am 10. Oktober, bereits zum 12. Mal die Berliner Woche der Seelischen Gesundheit statt – dieses Jahr unter dem Motto: „Gestresste Gesellschaft – Was tun?“ Ziel aller Veranstaltungen ist es, das Stigma rund um psychische Erkrankungen abzubauen, Hilfs- und Therapieangebote aufzuzeigen und Diskussionen anzuregen. Mehr als 200 Veranstaltungen in ganz Berlin sind angemeldet – ein Rekord.

Zum Auftakt gibt es im Maison de France am Kudamm 211 eine Talkrunde mit Experten wie Zukunftsforscher Ludwig Engel, Resilienzforscherin Donya A. Gilan und Silvio Heinevetter, dem Torwart der deutschen Handball-Nationalmannschaft. „Sport beugt Stress vor und kann durch seine Ausgleichsfunktion zur seelischen Gesundheit beitragen. Für mich ist vor allem Sport in der Gemeinschaft ein Werkzeug, das unabhängig von Alter, Geschlecht und körperlicher Behinderung für mehr physische und psychische Gesundheit in unserer Gesellschaft sorgen kann“, sagt Heinevetter.

Ob Sport oder etwa Meditation: Werkzeuge gegen Stress sind dringend nötig, denn obwohl die wöchentliche Arbeitszeit sinkt, stiegen die Fehlzeiten aufgrund psychischer Beschwerden wie Depressionen, Angst- und Belastungsstörungen in den vergangenen 15 Jahren um fast 90 Prozent. Offenbar haben immer mehr Menschen Probleme, ihren Alltag zu bewältigen. Das Gefühl der Einsamkeit und Isolation ist zu einem gesellschaftlichen Phänomen geworden. 

Die „Berliner Woche der Seelischen Gesundheit“ wurde 2007 vom Aktionsbündnis Seelische Gesundheit, einer bundesweiten Initiative, ins Leben gerufen – um einem breiten Publikum praktische Hilfen und Anregungen für einen entspannten Alltag zu vermitteln. Seit 2010 gibt es zudem die „Bundesweite Woche der Seelischen Gesundheit“. Mittlerweile beteiligen sich rund 50 Regionen und Städte mit rund 800 Veranstaltungen. Das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit wird gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit und umfasst rund 100 Mitgliedsorganisationen. Initiiert wurde es 2006 von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) gemeinsam mit Open the doors als Partner des internationalen Antistigma-Programms.

Unser Health Week Tipp:

Berliner Woche der Seelischen Gesundheit vom 10.-20. Oktober 2018. Auftaktveranstaltung mit Silvio Heinevetter zum Thema "Gestresste Gesellschaft" am 10. Oktober.