Fontane-Studie: Telemedizin rettet Leben von Herzpatienten

Die Fontane-Studie der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat erstmals nachgewiesen, dass die telemedizinische Mitbetreuung das Leben von Herzpatienten verlängern kann. Zudem ist die Telemedizin gleichermaßen für Patienten im ländlichen Raum und in Metropolregionen geeignet. Die fünfjährige Studie, an der mehr als 1.500 Patientinnen und Patienten teilgenommen haben, wurde mit verschiedenen Partnern und in enger Kooperation mit zwei großen Krankenkassen durchgeführt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat das Projekt mit 10,2 Millionen Euro gefördert. Jetzt wurden die Ergebnisse vorgestellt.

 

Rund 1,8 Millionen Deutsche leiden an einer chronischen Herzinsuffizienz, jährlich kommen rund 300.000 Neuerkrankungen hinzu. In den vergangenen zehn Jahren war sie die häufigste Ursache für stationäre Aufnahmen. Im Rahmen des Forschungsprojekts "Gesundheitsregion der Zukunft Nordbrandenburg – Fontane" wurden vom Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin der Charité mehr als 1.500 Patienten mit dieser Herzerkrankung untersucht. Die Hälfte von ihnen wurde telemedizinisch mitbetreut, die andere Hälfte blieb konventionell behandelt. Die ärztliche Betreuung der Patienten am Wohnort wurde bundesweit durch 113 kardiologische und 87 hausärztliche Einrichtungen gewährleistet. Ziel der Studie war es, die Patienten möglichst lange außerhalb eines Krankenhauses behandeln zu können und die Lebenserwartung sowie die Lebensqualität zu erhöhen. Zudem sollte überprüft werden, ob Telemedizin strukturelle Defizite der medizinischen Versorgung auf dem Land gegenüber städtischen Regionen ausgleichen kann.

Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär, Bundesministerium für Bildung und Forschung: "Die Ergebnisse der vom Bundesforschungsministerium finanzierten Telemedizin-Studie Fontane zeigen: Telemedizin wirkt. Sie ermöglicht es, Patienten mit Herzschwäche besser zu versorgen – unabhängig davon, ob sie auf dem Land oder in der Stadt wohnen. Die Forschungsergebnisse ebnen damit den Weg für den breiten Einsatz von Telemedizin in Deutschland, sodass hoffentlich bald alle Betroffenen von einer besseren Behandlungsqualität profitieren können. Es freut mich, dass hier Forschung zu medizintechnischen Innovationen direkt den Patientinnen und Patienten zugutekommt. Hier konnte ein herausragender Erfolg der Telemedizin belegt werden."

Die Studienergebnisse zeigen, dass die Telemedizinpatienten weniger Tage aufgrund von ungeplanten kardiovaskulären Ereignissen im Krankenhaus verbringen mussten und länger lebten: Bezogen auf die einjährige Studiendauer "verloren" sie 17,8 Tage im Vergleich zu 24,2 Tagen in der Kontrollgruppe. Zudem starben von 100 Herzinsuffizienzpatienten in einem Jahr unter den regulären Bedingungen etwa 11 Patienten, mit telemedizinischer Mitbetreuung hingegen etwa 8 Patienten. Auch bei den ungeplanten Krankenhaustagen wegen Herzinsuffizienz gab es mit 3,8 gegenüber 5,6 Tagen einen Vorteil für die Telemonitoring-Gruppe. Diese Ergebnisse wurden unabhängig davon erreicht, ob der Patient in einer strukturschwachen ländlichen Gegend oder in einer Metropolregion lebte. Damit eignet sich die Telemedizin, um regionale Versorgungsunterschiede zwischen Stadt und Land auszugleichen und die Versorgungsqualität insgesamt zu verbessern.

Prof. Dr. Ulrich Frei, Ärztlicher Direktor der Charité: "Wir waren von Anfang an von diesem zukunftsweisenden Projekt überzeugt und freuen uns umso mehr, dass die Ergebnisse so überaus positiv sind. Das telemedizinische Angebot dient in erster Linie den Patienten, es stärkt aber auch die Hausärzte in ländlichen Regionen, die dort hauptsächlich die Versorgung von Herzpatienten übernehmen. Das Resultat zeigt, dass die Telemedizin die Qualität der Patientenversorgung sichert – und das unabhängig vom Wohnort. Darüber hinaus ist sie ein herausragendes Beispiel, wie hausärztliche Versorgung und universitäre Forschung der Charité ganz praxisnah und länderübergreifend zusammenarbeiten können."

Die telemedizinisch betreuten Patienten erhielten vier Messgeräte: ein Elektrokardiogramm (EKG) mit Fingerclip zur Messung der Sauerstoffsättigung, ein Blutdruckmessgerät, eine Waage sowie ein Tablet zur Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands. Über das Tablet wurden die Werte automatisch an das Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin der Charité übertragen. Ärzte und Pflegekräfte bewerteten die übertragenen Messwerte 24 Stunden täglich an 7 Tagen in der Woche. Bei einer Verschlechterung der Werte veränderten sie beispielsweise die Medikation, gaben Empfehlungen für einen ambulanten Arztbesuch oder eine Krankenhauseinweisung.

Prof. Dr. Friedrich Köhler, Studienleiter Fontane der Charité: "Die Studienergebnisse zeigen erstmals, dass Telemedizin bei Hochrisikopatienten mit Herzschwäche zu einer Lebensverlängerung und zu weniger Krankenhausaufenthalten führt. Für den Erfolg war auch entscheidend, dass wir eine sehr einfache Technik eingesetzt haben, die für die Patienten auch alltagspraktikabel war. Darüber hinaus haben wir Pflegefachkräfte direkt zu den Patienten geschickt, die sie im Umgang mit den Geräten geschult und alle vier Wochen strukturierte Telefongespräche mit ihnen geführt haben. Der persönliche Kontakt und die enge Betreuung haben viele Patienten auch offener gegenüber der Technik und der Telemedizin werden lassen und sie motiviert, es auszuprobieren. Eine nächste wichtige Aufgabe besteht nun darin, ein Alltagsmodell zu entwickeln, um ein Vielfaches der Patientenzahl der Studie zu versorgen."

Michael Scherf, Vorstandsvorsitzender, GETEMED Medizin- und Informationstechnik AG: "Wir sind sehr stolz darauf, dass wir dieses Meilenstein-Projekt als Technischer Konsortialführer von der ersten Stunde an begleiten konnten. Die herausragenden Forschungsergebnisse, die durch das Team der Charité in den letzten Jahren erarbeitet wurden, motivieren uns, weiterhin in Produkte der Telemedizin zu investieren und an der Überführung innovativer Betreuungsformen für chronisch kranke Patienten in die Regelversorgung zu arbeiten. Um möglichst vielen betroffenen Patienten diese Betreuungsform zu ermöglichen, muss auch über Lösungsansätze aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz nachgedacht werden."

Als assoziierte Kooperationspartner waren auch zwei große Krankenkassen an der Studie beteiligt. Dr. Mani Rafii, Mitglied des Vorstands, BARMER: "Die Fontane-Studie ist ein treffendes Beispiel dafür, dass passgenaue telemedizinische Anwendungen mehr und mehr zu einem unverzichtbaren Bestandteil einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung werden. Sie schließen nicht nur Versorgungslücken im ländlichen Raum, auch in Ballungsgebieten trägt gezielt eingesetzte Telemedizin dazu bei, die Versorgungssituation der Menschen entscheidend zu verbessern. Sehr gerne haben wir als Fontane-Kooperationspartner deshalb unsere Versorgungsdaten für diese Studie zur Verfügung gestellt. Sie bilden damit nicht nur die Grundlage für den Erfolg der Fontane-Studie, sondern auch für die sich daraus ableitende zielgenauere medizinische Versorgung von Herzpatienten in Deutschland. Die BARMER wird die Studienergebnisse nun mit Blick auf ihre Versichertengemeinschaft genau bewerten und dort, wo ein Nutzen klar belegt werden kann, einzelvertragliche Vereinbarungen für eine bessere Versorgung treffen."

Dr. Werner Wyrwich, Versorgungsmanagement, AOK Nordost: "Die Ergebnisse der Telemedizin-Studie haben einmal mehr bestätigt, wovon die AOK Nordost schon lange überzeugt ist: Nämlich, dass die Telemedizin die Qualität der Versorgung steigert und die Patienten länger zuhause betreut werden können. Vor allem Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz – einem der häufigsten Gründe für stationäre Behandlungen im Alter – profitieren von der Telemedizin. Als größte regionale Versorgerkasse im Nordosten haben wir bereits sehr früh telemedizinische Ansätze als einen wichtigen Stellhebel erkannt, um eine verlässliche Versorgung, vor allem in ländlichen Regionen, zusammen mit unseren Partnern im Gesundheitswesen zu gestalten. Daran halten wir im Interesse der Versicherten auch weiterhin fest."