Interview | Martin Rahmel, Coordinator greenCHEM and Managing Director Chemical Invention Factory (CIF)

greenCHEM entwickelt die Chemie von morgen

Die Grüne Chemie ist einer der zentralen Bausteine, um von einer linearen Verbrauchslogik mit fossilen Materialien hin zu einer zirkulären Logik mit regenerativen Materialien zu kommen. Es gibt unzählige stoffliche Substanzen auf dem Markt, die synthetisch hergestellt werden und die Stück für Stück verändert werden müssen, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Das gilt insbesondere für die Gesundheitswirtschaft, wo beispielsweise pharmazeutische Produkte und neue Materialien für die Medizintechnik durch Grüne Chemie für mehr Nachhaltigkeit sorgen könnten. greenCHEM ist ein Konsortium aus 29 Partnern, die unter Koordination der Technischen Universität Berlin (TU Berlin) mit der Chemical Invention Factory (CIF) daran arbeiten. BUA Dafür wird das Projekt derzeit in Höhe von bis zu 10 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Wir haben mit dem Koordinator des Verbundprojektes Martin Rahmel über die Aufgaben, die Struktur und die Zukunft des Projektes gesprochen.

 

 

1. Sie sind Managing Director der Chemical Invention Factory (CIF) an der TU Berlin. Was ist ihre Aufgabe, welche Zielgruppe hat die CIF und was genau bietet sie an?

Die CIF hat die Aufgabe, die Nachhaltigkeitswirkung von Grüner Chemie durch effektiven Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis zu entfalten. Das setzen wir um, in dem wir Technologietransfer aktiv, strukturiert und strukturell ermöglichen und begleiten. Dafür verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz, denn chemische Prozesse zu verändern, neue Materialien zu gestalten, ist schwierig und langwierig. Ein zentraler Aspekt in der Chemie ist dabei die benötigte Infrastruktur für Innovationen wie beispielsweise Labore. Dies schaffen wir mit der CIF. Zudem schauen wir aktiv auf den Markt und fragen die Industrie, für welche Nachhaltigkeitsherausforderungen Lösungen benötigt werden. Damit setzen wir neben die der Forschung innewohnende Push-Logik, die etwa neue Verfahren in die Praxis bringt, eine Pull-Logik, die bewusst nach Problemstellungen zur Nachhaltigkeit auf dem Markt fragt. Aus diesen Ansätzen erwachsen auch unsere Zielgruppen. Das beginnt in der Lehre, wo wir Studierende der Chemie bereits von Beginn des Studiums an die zwölf Prinzipien der Grünen beibringen. Seit 2022 in einem eigenen Master Kurs zusammen mit Prof. John Warner, einem der Gründerväter dieses Feldes. Des Weiteren treten neben diese fachlichen Aspekte auch die Vermittlung von unternehmerischen Fähigkeiten sowie das Verständnis von Innovationen und ihrer Mechanismen. Eine weitere zentrale Zielgruppe sind Doktorand:innen. 80 Prozent der Absolvent:innen in der Chemie promovieren. Wenn sie gegen Ende der Promotion exzellente Forschungsergebnisse haben, unterstützen wir sie dabei, daraus Patente zu generieren und in Marktanwendungen zu transferieren. Aus der angesprochenen Pull-Logik heraus gehört auch die Industrie zu unseren Zielgruppen. Und letztlich versuchen wir auch die Öffentlichkeit in den Blick zu nehmen, denn Chemie an sich besitzt nicht überall einen guten Ruf.

2. Wie kam es zu diesem Vorhaben?

Dafür muss man zwischen der CIF als Gebäude und greenCHEM, dem Innovations-Ökosystem drum herum unterscheiden. Die CIF als Gebäude gab es als Idee zuerst. Es geht letztendlich auf eine Initiative der IHK Berlin zurück. Dort hatte man sich um 2015 herum entschlossen einen Laborcontainer zu finanzieren, um zu schauen, ob Ausgründungen auch in der Chemieindustrie funktionieren. Bis dato herrschte die Überzeugung, dass dies kaum möglich sei und gute Forschungsergebnisse ohnehin ihren Weg in die Praxis finden würden, seien sie nur gut genug. Ein Irrtum. Um zu zeigen, dass Ausgründungen funktionieren, wurde an der TU Berlin das INKULAB installiert und es stellten sich recht schnell Erfolge ein. Darauf basierend kam es zu der Idee das Ganze auszubauen. Seinerzeit erhielt auch Professor John Warner eine Honorarprofessur an der TU. Als einer der Mitbegründer der zwölf Prinzipien der Grünen Chemie unterstützte er die Idee eines Ausgründungszentrums für Grüne Chemie. So begannen die Planungen für die CIF. Als ich 2020 die Leitung übernahm, gehörte es zu meinen Aufgaben den Bau voranzutreiben und die Idee weiterzuentwickeln und in die Umsetzung zu führen. Dafür habe ich unter anderem ganz pragmatisch die Förderberatung „Forschung und Innovation“ des Bundes angerufen und erklärt, was ich vorhabe. Zunächst gab es keine Förderung dafür. Zwei Monate später riefen sie mich an und informierten mich über die neue Förderrichtlinie „„T!Raum – TransferRäume für die Zukunft von Regionen“. Diese Richtlinie traf genau unser Vorhaben und sollte als Verbund gestaltet werden. Ein Glücksfall, denn mit der Freien Universität Berlin und der Humboldt Universität zu Berlin haben wir ideale Verbundpartner gefunden und konnten uns erfolgreich auf die Förderung bewerben. Der ursprüngliche Grundgedanke der CIF wird nunmehr auf den Berliner Verbund übertragen und skaliert, so dass das Konzept greenCHEM ganz im Lichte der Berlin University Alliance zu sehen ist.

3. Die CIF bildet also den infrastrukturellen Rahmen für das vom Bund geförderten Projektes „greenCHEM – Der innovative Transferraum für Grüne Chemie in der Hauptstadtregion“, an dem 29 Partner beteiligt sind. Wie arbeiten sie zusammen und wie werden Innovationen auf den Weg gebracht?

Um aus einem Forschungsergebnis und einer Idee, was man damit machen könnte, hin zur industriellen Produktion zu kommen, werden ganz verschiedene Dinge benötigt. Schauen wir uns z.B. die unterschiedlichen Infrastrukturen an, die benötigt werden. Das Besondere an unserem Verbund ist, dass wir durch die Vielfalt der Partner Infrastruktur für den gesamten Prozess zur Verfügung stellen können. Exemplarisch gesprochen kann das wie folgt aussehen: Nach der Forschung stellt die CIF den ersten Schritt– hier können Ideen im Labormaßstab validiert und weiterentwickelt werden. In den nächsten Stufen muss optimiert und auf die Produktion vorbereitet werden. Hier haben wir mit „Scale Up Lab“ an der Freien Universität Berlin ein weiteres infrastrukturelles Element, das dies leisten kann. Hinzu kommt das Technikum der am Projekt beteiligten Covestro AG, das eine Weiterentwicklung in großen Maßstäben erlaubt. Am Ende stehen dann potenzielle Ansiedlungsflächen in und um Berlin, die Produktion ermöglichen. Von der Idee bis zur Produktion – alles wird bei greenCHEM im Verbund abgebildet.

4. Wie sind aus Ihrer Sicht die Chancen, die Hauptstadtregion langfristig zu einem Hotspot für die Grüne Chemie zu machen und damit Berlin zu einem nachhaltigen und zukunftsfähigen Industriestandort zu entwickeln?

Wir erkennen einen wesentlichen Vorteil darin, dass Berlin kein klassischer Chemiestandort ist. Denn die Grüne Chemie rüttelt an den Grundfesten des alten Erfolgsmodells der Chemie – sie ist eine sogenannte disruptive Innovation. Hier sind Standorte gut, an dem man nicht direkt sieht, was alles verändert werden muss. Dieser infrastrukturelle, geschichtliche Rucksack ist es nämlich, der das freie Denken oftmals einschränkt, der Menschen hindert radikale Veränderungen zu denken. Innovationsforscher sprechen von „legacy“. Im Gegenteil ist ist die Wirtschaftsstruktur Berlins eher Vorteilhaft. Denn es gibt viele mittelständische Hersteller, die Materialien verwenden, jene aber gerade nicht chemisch herstellen. Das sind genau die Innovations-Nachfrager, die wir für die von mir beschriebene Pull-Logik benötigen. Nicht zuletzt würde ich mich den Worten von Professor John Warner zum Kick-off von greenCHEM anschließen und sagen Berlin hat das Potential zum Silicon Valley der Grünen Chemie zu werden. Forschung, existierende Start-up-Ökosysteme und die Mentalität der Stadt machen tragen dazu bei. Denn Berlin ist eine junge Stadt, die getrieben ist von Nachhaltigkeit und ein gutes Klima für Innovationen hat. Zusammen mit den Möglichkeiten, die Brandenburg im Hinblick auf Produktion bietet, ist die Region prädestiniert dafür, bei der Grünen Chemie eine führende Rolle zu spielen und eine nachhaltige Industrieregion zu werden. Dafür braucht es aber viel Zeit und Arbeit, immerhin sprechen wir über die Transformation einer sehr kapitalintensiven Branche

 

Zur Person:

Martin Rahmel ist Diplomwirtschaftsingenieur mit Abschluss von der TU Berlin. Im Jahr 2011 war er an einer Ausgründung von der TU zum Thema wasserbasierter Katalyse beteiligt. 2013 gründet er mit anderen daraufhin die DexLeChem GmbH, die mit Grüner Chemie arbeitet. Dort hat er ein globales Vertriebsnetzwerk aufgebaut und war ab 2018 Co-Geschäftsführer. Seit 2020 ist er Managing Director der Chemical Invention Factory (CIF).

 

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