Spezialthema | Grüne Chemie: Nachhaltig zu mehr Effizienz

Grüne Chemie soll die Umweltverschmutzung reduzieren, Energie sparen und die Produktion insgesamt nachhaltiger machen. In Berlin gibt es zahlreiche Akteure, die sich diesem wichtigen Ziel verschrieben haben und in dem Bereich forschen, entwickeln und produzieren. Ein Überblick.

 

Auf der Suche nach einer Definition von Grüner Chemie wird man bei einem der Begründer dieses Konzepts selbst – dem US-Wissenschaftler Professor John C. Warner – fündig. „Sie ist die Methodensammlung für Chemiker, wie sie weniger giftige Verbindungen entwickeln können, die sich umweltfreundlicher und sicherer herstellen lassen, möglichst aus erneuerbaren Ressourcen, auf möglichst energieeffiziente Weise und so, dass möglichst wenig Abfall entsteht“, sagt er in einem Interview mit der Technischen Universität (TU) Berlin. Gemeinsam mit Paul Anastas entwickelte Warner zwölf Grundprinzipien der Grünen Chemie, darunter die Vermeidung von Abfall, die Bevorzugung von Katalysatoren, die Entwicklung sicherer Stoffe und die Verminderung des Energieverbrauchs.  

Begründer der Grünen Chemie mit Einrichtung an der TU Berlin 

Dass der Professor der TU Berlin Rede und Antwort stand, ist kein Zufall: Er ist dort Honorarprofessor und die nach ihm benannte und an der TU angesiedelte „Chemical Invention Factory John Warner Center for Start-ups in Green Chemistry“ (CIF) ist Teil der Infrastruktur, die greenCHEM für den Transfer von Ideen, Verfahren und Produkten zur Verfügung stellt. Baubeginn der CIF, mit einem Investitionsvolumen von rund 20 Mio. Euro, ist dieses Jahr und wird das Containerkonzept INKULAB ersetzen und deutlich höhere Kapazitäten für Transferprojekte in der Grünen Chemie zur Verfügung stellen. Das ist eines von vielen Beispielen, das zeigt, wie die Metropolregion zum internationalen Hotspot für Deep-Tech Innovationen im Bereich der Grünen Chemie avanciert.  

Das Projekt greenCHEM hat dabei die Etablierung eines „Innovationsökosystems mit europäischer Strahlkraft“ zum Ziel. 2022 konnten die fünf initialen Partner (TU Berlin, Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin-Chemie und Covestro) gemeinsam mit 24 weiteren Projektpartnern eine Förderung von bis zu 10 Millionen Euro über 9 Jahre vom damaligen Bundesministerium für Bildung und Forschung sichern. Mit dem Geld werden seitdem nachhaltige chemische Innovationen vom erfolgreichen Forschungsergebnis bis hin zur ersten industriellen Produktion von greenCHEM begleitet – und das chemiespezifische Ökosystem aufgebaut. Um den Transfer unternehmerisch agil, effizient und innovativ zu gestalten, wurde Anfang des Jahres die innovate! lab gGmbH gegründet und mit 5 Millionen Euro von der Joachim-Herz-Stiftung gefördert. Aufbauend auf greenCHEM soll sie unter der Leitung von Martin Rahmel als Geschäftsführer den Transfer in der Grünen Chemie in Berlin vorantreiben – mit dem Ziel, einen internationalen Vorzeigestandort zu schaffen. 

„Das Besondere an unserem Verbund ist, dass wir durch die Vielfalt der Partner Infrastruktur für den gesamten Prozess zur Verfügung stellen können“, erklärte Martin Rahmel, Geschäftsführer der Chemical Invention Factory und Koordinator des greenCHEM-Konsortiums im Interview mit Health Capital. „Von der Idee bis zur Produktion – alles wird bei greenCHEM im Verbund abgebildet.“ So stehen den Ausgründungs- und Transferteams aus der Grünen Chemie etwa Laborcontainer (INKULAB) sowie das Scale-Up Labore an der FU Berlin samt technischer Betreuung zur Verfügung.  

Zusätzlich zu dieser Innovationslogik des Forschungs-Push, bei dem Forschungsergebnisse in Richtung Markt entwickelt werden, integriert greenCHEM gezielt die komplementäre Industrie-Pull Logik. Hierbei werden sehr spezifische, materielle Nachhaltigkeitsherausforderungen aus der Industrie zum Ausgangspunkt von Innovationsaktivitäten, d.h. der Entwicklung von technischen Lösungen aus der Grünen Chemie. Dahinter steckt die Überzeugung, dass Innovationen genau aus der Kombination dieser Innovationslogiken entstehen. 

TU-Absolventin mit zwei Start-ups zur Grünen Chemie 

Längst über den Startprozess hinaus ist die TU-Absolventin Sonja Jost, die mittlerweile schon ihr zweites Unternehmen in Bereich der Grünen Chemie gegründet hat. Die Wirtschaftsingenieurin mit Schwerpunkt Technische Chemie hat ein Verfahren entwickelt, bei dem Katalysatoren in Wasser und anderen grünen Lösungsmitteln verwendet werden können – und damit einfach zu recyceln sind. 2013 gründete sie auf Basis dieser Innovation mit drei Partnern das Unternehmen DexLeChem. 2019 folgte dann die Gründung von DudeChem, das Pharmaunternehmen dabei unterstützt, mithilfe von Grüner Chemie und neuen Verfahrensrezepten die Produktionsprozesse zu optimieren und Kosten einzusparen.  

Ebenfalls die pharmazeutische Industrie im Fokus hat Green Elephant Biotech, das neben Gießen auch eine Zweigstelle in Berlin hat. Das Unternehmen entwickelt Zellkultivierungssysteme, wie CellScrew, welche im 3D-Druckverfahren aus dem Biopolymer Polylactid hergestellt werden. Im Vergleich zu herkömmlichen Methoden werden so bis zu 90 Prozent CO2 eingespart und dank einer großen Wachstumsoberfläche Herstellungskosten für Therapeutika gesenkt.  

Unternehmen mit Lösungen für Landwirtschaft und Endverbraucher 

Die Kunden von ABiTEP wiederum stammen aus der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie. Mit Sitz am Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Berlin-Adlershof bietet das Unternehmen schon seit Jahrzehnten biologische Alternativen zu konventionellen chemisch-synthetischen Pflanzenschutz-, Schädlingsbekämpfungs-, Dünger- und Futtermitteln. Außerdem im Portfolio: Mikrobielle Produkte für Kompostierung und biologische Reinigung.  

Ebenfalls schon länger auf dem Markt – mittlerweile seit 28 Jahren – ist das Berliner Unternehmen PolyAn, das funktionalisierte Verbrauchsmaterialien für LifeScience-Anwendungen produziert. Im Portfolio hat PolyAn unter anderem oberflächenfunktionalisierte Materialien für die in vitro Diagnostik und die Life Sciences Forschung. Im Rahmen des greenCHEM Projekts arbeitet PolyAn zusammen mit der FU Berlin an neuartigen Sensormaterialien, die auf nachwachsenden Rohstoffen basieren. 

Auf den Einsatz von neuen bio-basierten Materialien konzentriert sich das Berliner Start-up Cambrium. Das erste offizielle Cambrium-Produkt „NovaCollTM“ ist ein mikromolekulares und hautidentisches Kollagen, für dessen Herstellung kein tierisches Gewebe notwendig ist. Ein erstes Hautpflegeprodukt mit dem neuartigen Kollagen ist bereits auf dem Markt.  

Ebenfalls in Berlin ansässig ist Corden BioChem Berlin, ein CDMO für biotechnologisch hergestellte Produkte und somit Alternativen für Produkte aus fossilen Rohstoffen. Angeboten werden Kleinserienproduktionen von technischen, Futtermittel- oder Lebensmittelprodukten aus mikrobiellen Prozessen für Prototyping- und Demonstrationszwecke.

Die Pipeline an innovativen Startups im Bereich der Grünen Chemie reißt nicht ab – im Gegenteil: Mit Porelio und Nanolope bereichern zwei vielversprechende Neuzugänge aus dem greenCHEM- Ökosystem die Startuplandschaft. Porelio entwickelt neuartige Filtertechnologien, die Ewigkeitschemikalien (z.B. PFAS) aus dem Wasser entfernen und damit einen wichtigen Beitrag zur sicheren Trinkwasserversorgung leisten. Nanolope bietet eine revolutionäre Wärmespeichertechnologie an, die nicht nur Warmwasserspeicher effizienter machen, sondern auch als Energiespeicher für Photovoltaikanlagen dienen und zur Gebäudeisolierung beitragen können. 

Mehrere Laborzentren für Forschende 

Um die universitäre Forschung im Bereich der Grünen Chemie weiter voranzutreiben, hat das Forschungsteam um Professor Rainer Haag vom Institut für Chemie und Biochemie der FU Berlin kürzlich im FUHUB am Zukunftsort Berlin-Südwest eigene Forschungsräume bezogen. Haag ist Teil des Lenkungskreises im Projekt greeChem und forscht unter anderem an nachhaltigen Lösungen für den Umgang mit Reststoffen und der Schließung von Rohstoffkreisläufen. Das neue Scale-Up Lab ermöglicht es, neue Technologien in größeren Ansätzen zu testen und größere Mengen herzustellen. Entsprechende chemische Anlagen im 10- bis 100-Liter-Maßstabstehen für den Einsatz zur Verfügung. 

Ebenfalls gute Arbeitsbedingungen für Forschende bietet das BasCat (UniCat BASF JointLab) an der TU Berlin. Zu den Partnern gehören unter anderem BASF und das Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft. In den Laboren wird unter anderem an Katalysatoren geforscht, die als Schlüsselwerkzeug für den Übergang hin zur Grünen Chemie gelten.  

Biotechnologie als wichtiger Baustein 

Als weiterer Schlüssel für nachhaltigere Prozesse in der chemischen Industrie gilt die Biotechnologie. Sie kann dazu beitragen, umweltverträglichere Ausgangsstoffe herzustellen und in der Kombination mit chemischen Verfahren die Herstellung von Materialien insgesamt nachhaltiger zu gestalten. Um den Wissens- und Datenaustausch in der Biotechnologie zu fördern, startet im Januar 2025 das Projekt BioBlock. Das Management-Team besteht aus der TU Berlin, dem Institut für Angewandte Blockchain (IABC), Siemens und dem Pharma- und Laborzulieferer Sartorius. BioBlock soll unter anderem fragmentierte Daten integrieren und die Datensicherheit mit Blockchain-Technologie erhöhen. Die bereitgestellten Daten sollen dann die Effizienz in Forschung und Entwicklung in der Biotechnologiebranche steigern sowie regulatorische Herausforderungen meistern. Das Konsortium aus über 25 führenden Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen erhält dafür vom Bundesforschungsministerium von Januar 2025 bis Dezember 2028 fünf Millionen Euro.  

Auch an der Universität Potsdam gibt es neueste Forschungen zum Thema "Grüner Wasserstoff". Zusammen mit der Ruhr-Universität Bochum haben Forschende das katalytische Zentrum des Wasserstoff-erzeugenden Enzyms [FeFe]-Hydrogenase in ein Ferredoxin - ein Biomolekül, das in Organismen als Elektronenüberträger fungiert – übertragen, um effizienter Wasserstoff produzieren zu können.

Nachhaltigkeit als Service für Berliner Einrichtungen 

Um die ökologische Transformation in Berliner Betrieben gezielt zu fördern, unterstützt Berlin Partner Unternehmen mit einem umfassenden Nachhaltigkeitsservice. Im Zentrum des Sustainability Service bei Berlin Partner steht dabei die Koordinierungsstelle für Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz und Klimaschutz (KEK), die informiert, vernetzt und praxisnah berät. Seit März bietet die KEK neben den Themen Energieeffizienz und Klimaschutz auch Unterstützung im Bereich Kreislaufwirtschaft an – mit dem Ziel, Ressourcen zu schonen, Produkte kreislauffähig zu gestalten, Lebenszyklen zu verlängern und Abfälle zu minimieren. Unternehmen können von geförderten Angeboten profitieren: einer Basisberatung, in der passende Förderprogramme identifiziert werden, einer Detailberatung vor Ort, bei der Optimierungspotenziale erkannt werden, sowie individuelle Workshops zu konkreten Nachhaltigkeitsthemen. 

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