Mit KI und maschinellem Lernen gegen autoimmune Hirnentzündung
Wenn das Immunsystem das Gehirn angreift, spricht man von autoimmuner Enzephalitis. Auslöser können Bakterien oder Viren sein, aber auch Krebs oder eine fehlerhafte Abwehrreaktion. Dr. Momsen Reincke, Clinician Scientist an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité, ist auf der Suche nach neuartigen Therapieformen für die vielschichtige, oft lebensbedrohliche Erkrankung. Neben einer klinischen Ausbildung hat er einen mathematischen Hintergrund. Unterstützt durch das Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) wird er in den kommenden Jahren modernste Technologien zur Erforschung der autoimmunen Gehirnentzündung einsetzen und einen neuen zelltherapeutischen Ansatz erproben.
Autoimmunerkrankungen ist zu eigen, dass das Immunsystem irrtümlich gesunde Zellen angreift und dabei körpereigenes Gewebe beschädigt oder zerstört. Bei der autoimmunen Enzephalitis bekämpfen fehlgeleitete Antikörper die Nervenzellen des Gehirns. Das führt zu einer Vielzahl von Symptomen, darunter Gedächtnisverlust, epileptische Anfälle oder schwere psychische Beeinträchtigungen. Der Verlauf der Erkrankung lässt sich nur schwer vorhersagen. Auch zeigt sie sich von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich, sodass es nicht immer leicht ist, die individuell passende Therapie zu finden.
Das Verständnis der komplexen Krankheit zu revolutionieren und präzisere Behandlungsstrategien zu entwickeln, ist das Ziel von Dr. Reincke und seinem Team. Eine Kombination aus KI, molekularbiologischen Studien und innovativen Therapien soll dazu führen, wie der Projektleiter betont: „Wir wollen zukünftig Patientinnen und Patienten personalisierte Behandlungsoptionen anbieten, die nicht nur die Symptome lindern, sondern an der Ursache der Erkrankung ansetzen.“
Maschinelles Lernen: Schlüssel zu tieferem Verständnis der Erkrankung
Um individuelle Krankheitsverläufe besser vorherzusagen und gleichzeitig neue molekulare Mechanismen der Krankheit zu entschlüsseln, werden die Forschenden sogenannte Deep-Phenotyping-Techniken, also eine umfassende Analyse von Patientendaten, mit fortschrittlichen KI-Methoden kombinieren. Dr. Reincke erklärt: „Wir nutzen Machine-Learning-Modelle, die große und komplexe Datenmengen, beispielsweise klinische Variablen, Antikörperprofile und Bildgebungsdaten, integrieren können." Diese Modelle sollen nicht nur dabei helfen, schwere Verläufe frühzeitig zu erkennen, sondern auch Marker für Behandlungserfolge liefern.
Mitgebracht hat Dr. Momsen Reincke die Faszination für das Potenzial dieses auf künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen basierenden Forschungsansatzes von der Stanford University School of Medicine, von wo er nach einem Postdoc-Aufenthalt kürzlich nach Berlin zurückgekehrt ist. Zentrales Ziel des aktuellen Projekts ist die grundlegende Erforschung der molekularen Mechanismen, die die autoimmune Hirnentzündung antreiben. Unter Einsatz modernster Methoden wird das Team Antikörper untersuchen, die spezifische Gehirnstrukturen angreifen. Dadurch hoffen die Forschenden deren Zielstrukturen und Wirkmechanismen noch besser zu verstehen. Die Erkenntnisse sollen Grundlage neuer diagnostischer Verfahren und therapeutischer Ansätze sein.
Zielgerichtete Therapie mit CAAR-T-Zellen
Neben datenbasierten Ansätzen wird eine neuartige Zelltherapie Ziel der Untersuchungen sein. Die sogenannte CAAR-T-Zell-Technologie zielt darauf ab, nur jene Immunzellen (B-Zellen) zu zerstören, die krankheitsverursachende Antikörper produzieren. Im Gegensatz zu herkömmlichen Immuntherapien wird hierbei nicht das Immunsystem als Ganzes geschwächt. Einen solchen zelltherapeutischen Ansatz wollen Dr. Reincke und sein Team entwickeln und präklinisch erproben. Präzisionstherapien wie diese könnten langfristig die Behandlung der autoimmunen Enzephalitis grundlegend verändern. Sie eröffnen neue Möglichkeiten und lassen auf weniger Nebenwirkungen hoffen. Außerdem können die gewonnenen Erkenntnisse auf verwandte neurologische und immunologische Erkrankungen übertragen werden.
Titelbild: Die krankmachenden Mechanismen verstehen: Im Labor nachempfundene Antikörper (rotleuchtend) greifen Hirnstrukturen in einem Modell an. © Charité | Momsen Reincke
Weiterführende Informationen:
Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie
Kontakt:
momsen.reincke[at]charite.de