Portrait: Töchter & Söhne: Digitale Helfer für pflegende Angehörige

In Deutschland leben rund 2,6 Millionen pflegebedürftige Menschen – eine Zahl, die in den kommenden Jahren weiter steigen wird. Das Berliner E-Health-Unternehmen Töchter & Söhne hat sich zum Ziel gesetzt, pflegende Angehörige zu unterstützen.

Es war eine persönliche Erfahrung, die den Digital-Health-Experten Thilo Veil auf die Idee zu Töchter & Söhne brachte. Nach dem Verkauf seiner ersten Firma xx-well.com AG (jetzt: welldoo), einer Plattform für Onlinecoachings, zog er sich für ein Familienjahr aus dem Beruf zurück. „In dieser Zeit spielte auch das Thema Pflege eine Rolle. Mir wurde dabei erst bewusst, wie wenig Informationen es in gut strukturierter, kompakter Form für die Betroffenen gibt.“ Mit seinem Bruder überlegte er, wie man Inhalte für pflegende Angehörige besser aufbereiten könnte. Vor vier Jahren gründete Veil schließlich Töchter & Söhne. Das E-Health-Unternehmen konzipiert, entwickelt und betreibt digitale Gesundheitsanwendungen rund um das Thema Pflege.

Inspirierende Nachbarn, großes Netzwerk

Berlin bot Thilo Veil dafür das perfekte Umfeld: „Wir arbeiten in einer sehr jungen Umgebung und tauschen uns viel mit anderen Start-ups aus. Was das Netzwerk und Ambiente angeht, ist Berlin einzigartig.“ Die sechs festangestellten Mitarbeiter werden von acht freien unterstützt. Neben Designern, Entwicklern, Kaufleuten und studierten Fachkräften wie Kranken- und Altenpflegern, die für die Konzeption der Inhalte verantwortlich sind, gibt es auch eine Texterin. Ihre Aufgabe ist es, die Lerninhalte in einer einfachen Sprache zu formulieren. „Wir wollen Menschen erklären, wie Pflege funktioniert und ihnen Zugang zu Entlastungsmöglichkeiten bieten“, beschreibt Gründer Veil die Mission, die er mit seinem Unternehmen verfolgt.

Austausch zwischen pflegenden Angehörigen

2013 übernahm Töchter & Söhne von einem Bonner Verlag das Serviceportal und Netzwerk curendo.de, die reichweitenstärkste deutschsprachige Webseite für pflegende Angehörige. „Wir haben schnell gemerkt, dass der Informationsbedarf bei Pflegethemen riesengroß ist“, so Veil. Darum haben sein Team und er das Angebot ausgeweitet. Neben der Gemeinschaft der pflegenden Angehörigen, einem Forum, in dem sich die Mitglieder kostenlos austauschen können und Unterstützungstools finden, gibt es auf dieser Plattform nun einen digitalen, sechsmonatigen Basiskurs zum Thema häusliche Pflege. Die Kosten von 99 Euro sind nach §45 SGB XI erstattungsfähig, werden also von der Pflegekasse gezahlt. Die Kursteilnehmer bekommen pflegerisches Grundwissen vermittelt und können sich zudem mit persönlichen Fragen per Mail an Experten wenden.

Kooperation mit starken Partnern

Es gehört zu den Aufgaben der Pflegekassen, Angehörige und Ehrenamtliche in Pflegethemen zu schulen. „Die Angehörigen sind mit Abstand Deutschlands größter Pflegedienst“, sagt Veil. Weil beim Jonglieren zwischen Job, Kindererziehung und Pflege die Belastungsgrenze schnell überschritten ist, sei es wichtig, gegenzusteuern.

„Wir wollen, dass unsere Informationen möglichst viele Menschen erreichen. Weil wir jedoch kein eigenes Marketingbudget haben, sind wir auf starke Partner angewiesen.“ Mit bereits acht Pflegekassen besteht ein Rahmenvertrag – deren Mitglieder müssen die Kosten für die Kursteilnahme nicht vorstrecken.

Seit September 2015 bietet die DAK-Gesundheit eine eigene, kostenlose Version des Basiskurses an – den DAK-Pflegecoach (Link zu: www.DAK-Pflegecoach.de). Die DAK hat damit als erste große Ersatzkasse ein innovatives Angebot für eine hoch relevante Zielgruppe geschaffen, die sonst wenig Beachtung findet. Nach dem erfolgreichen Start des Pflegecoaches hat die DAK nun eine Erweiterung der Kooperation in Aussicht gestellt: Auf der conhIT, der Fachmesse für Gesundheits-IT in Berlin, verkündete Milorad Pajovic, Leiter der DAK-Pflegekasse, dass sie das neueste Online-Kursformat von Töchter & Söhne, den „Demenz Spezial“-Kurs, ebenfalls in den DAK-Pflegecoach integrieren werden.

Alltagspraxis im Fokus

Wie schon der Basispflegekurs wurde auch der neue „Demenz Spezial“-Kurs in Zusammenarbeit mit Matthias Zündel, Professor für Gesundheits- und Pflegemanagement an der Hochschule Bremen, und seinem Team entwickelt. Die Alltagspraxis stand dabei immer im Fokus. Medizinische Diagnosen und Rechtsberatung wurden explizit ausgeklammert. Thilo Veil sieht in dem neuen Angebot einen sinnvollen Zusatz zum Basiskurs: „Auf curendo haben wir gesehen, dass der häufigste Suchbegriff ‚Demenztest‘ ist. Diese Nachfrage wollten wir mit einem Kurs bedienen, der rund um die Uhr und überall verfügbar ist.“ Die Zielgruppe ist groß: Von den etwa 1,5 Millionen Menschen in Deutschland, die Alzheimer oder eine andere Form von Demenz haben, lebt mehr als die Hälfte zu Hause.

Doch damit nicht genug: Töchter & Söhne will in Zukunft noch weitere Onlinekurse entwickeln. Krebs, Schlaganfall, Palliative Care – der Bedarf an Information, Schulung und Begleitung bei Angehörigen und Ehrenamtlichen wird bisher noch nicht ausreichend gedeckt. Auch bei der Aus- und Fortbildung professioneller Pflegekräfte durch E-Learnings sieht Veil großen Bedarf. „Verschiedene Fachverlage haben uns schon angefragt.“ Nun heißt es auch hier: Attraktive, innovative Lösungsangebote finden – und die Qualität der Pflege in Deutschland steigern.